Einleitung --
Annäherung an ein italienisches Phänomen

 

"Ich muß jetzt in die Politik gehen, weil ich keinen Paten mehr habe. Ich muß jetzt mein eigener Pate werden." Mit diesen schicksalsschweren Worten (zitiert nach Die Woche Nr. 31 vom 28.7.1994) erklärte der italienische Großunternehmer Silvio Berlusconi dem Altmeister des Journalismus Italiens, Indro Montanelli, Mitte 1993 vertraulich seine politischen Ambitionen. Zuvor war ein Sturm der Enthüllungen von Korruption, Amtsmißbrauch und Verstrickung zwischen Politik und Mafia ­ losgelöst von Mailänder Richtern ­ über das ganze Land gebraust und hatte fast die gesamte alte Politikergarde bis hin zu den Spitzenmännern Bettino Craxi und Giulio Andreotti hinweggefegt. Hinter diesen kurzen Sätzen verbarg sich also jede Menge Zündstoff: Schickte sich doch erstmals in der modernen Geschichte Europas ein Konzernchef an, der nicht nur die halbe Fernsehlandschaft, den größten Verlag und die mächtigste Werbeagentur Italiens kontrolliert, sondern auch Kaufhäuser, Versicherungen und Baufirmen sein eigen nennt, mit Hilfe seiner ganzen Medien- und Wirtschaftsmacht nun auch die politische Macht Italiens zu erobern.

Der "Große Kommunikator" konnte rasch Erfolge aufweisen: Am 26. Januar 1994 gab er offiziell seinen Einstieg in das Rennen um die Parlamentswahlen bekannt, bereits zwei Monate später ging er als strahlender Sieger daraus hervor und schaffte den Sprung in das Amt des Ministerpräsidenten. Wahrlich ein Phänomen. Berlusconi ­ ganz Mann des alten Systems, den die Freundschaft mit Craxi erst groß gemacht hatte ­ wurde zum Hoffnungsträger der Erneuerung der Italiener. Ein Ereignis, eine "Machtergreifung", die Paul Virilio als "mindestens so einschneidendes Ereignis wie den Fall der Berliner Mauer" bezeichnete (in: Die Zeit vom 15.4.1994). Hatte doch der "Machiavelli aus Zelluloid" (ebd.) seine Fernsehsender voll in den Wahlkampf mit einbezogen und sich selbst nach allen Regeln des Marketings als Held positioniert, der das "neue italienische Wunder" vollbringen werde. Die Macht des Images war erneut bewiesen. Vor allem seine Werbeagentur, die "Publitalia 80", war Berlusconi dabei behilflich gewesen, das neue "Produkt" der Fininvest ­ so der Name der von ihm kontrollierten Unternehmensgruppe ­ zu vermarkten. Ungekannte Ausmaße nahmen dabei auch der gezielte Einsatz der Demoskopie, mit der die Wünsche und Ängste der Italiener genauestens erforscht wurden, und die Vermischung von Werbung, Public Relations und Programmteil in den drei Privatkanälen Berlusconis an. Die Sales Promotion mußte sich dahinter allerdings nicht verstecken: Wie ein Netz hatte der immer lächelnde Medienmann seine "Wahlclubs" über das Land verteilt und so die Begeisterten und zu Begeisternden unter dem Parteinamen Forza Italia gesammelt, der zugleich den Slogan und den Schlachtruf seiner "Fans" darstellte.

Nur einmal zuvor hatte ein Präsidentschaftskandidat ähnliches in die Wege geleitet, nicht in Italien, sondern in den Vereinigten Staaten. Ross Perot hatte sich dort vor wenigen Jahren über den massiven Ankauf von Werbezeiten als ernste Alternative zu den Kandidaten der etablierten Parteien in Szene gesetzt, war aber in letzter Sekunde doch noch gescheitert. Erst in Berlusconi verdichteten sich so die Tendenzen der neuen Politik, die den Unterschied zwischen konkreter Politik und der alleinigen Darstellung von Politik endgültig aufhebt. Denn Politikwissenschaftler haben seit langem den Weg von der "Politik als Ritual" (Edelmann 1976) über die "Symbolische Politik" (Sarcinelli 1987) hin zur "Placebo-Politik", zur "Inszenierung des Scheins" (Meyer 1992) aufgezeigt.

Analysiert war auch längst die Rolle des Fernsehens, das weniger Wert auf rationale Argumente als vielmehr auf die gute Erscheinung legt; das der Personalisierung von Politikern Vorschub leistet, da Menschen auf dem Bildschirm viel mehr aussagen als Programme. Und das die Unterhaltung über alles stellt (Postman 1985). Auch die Verbindung zwischen Politik und Showgeschäft war gezogen; ebenso war klar, daß Politiker wie Stars stereotype Rollen spielen und sich inszenieren (Schwartzenberg 1980). Doch erst Berlusconi vereinte gleichsam alle beschriebenen Elemente in sich, wirkte als Konzentrat von symbolischer Politik sowie Medien- und Werbungsmacht in einer Person. Die sich schon lange andeutende Telekratie war Wirklichkeit geworden, die Massenmedien hatten endgültig ihre Rolle als "vierte Gewalt" ad absurdum geführt ­ die Baudrillardsche Simulation hatte über die Realität gesiegt. Der "Hohepriester der Werbespots" (Baudrillard zitiert nach FAZ vom 30.3.1994) hatte die Macht in Italien persönlich übernommen. Berlusconi war der uneingeschränkte Herrscher, der sich mit der politischen Macht im Rücken anschickte, die öffentliche Meinung vollständig zu kontrollieren. Dbei machte er vor allem von einer neuen Art von Werbung Gebrauch, die ­ halb unterschwellig, halb als Tele-Promotion und Unterhaltung getarnt ­ die Zuschauer rund um die Uhr in die "Berlusconi-Welt" zu versetzen suchte. Auf dieser die Grenzen des üblichen Politmanagements sprengenden Strategie, die ich im weiteren als Subpolimotion bezeichnen werde, fußte der Erfolg des Medienkönigs hauptsächlich: Fast sah es so aus, als ob George Orwell ­ wenn auch mit zehn Jahren Verspätung ­ doch noch Recht bekommen sollte. Doch Italien, das Land, das nicht nur die Perspektive, sondern auch ihre Auflösung im Barock und im Futurismus hervorgebracht hat, neben dem Römischen Reich auch den Faschismus gesehen und uns neben der italienischen Komödie und der Opera buffa auch die Cinecittà geliefert hat, war erneut für eine Überraschung gut. Denn ebenso rasant wie der Aufstieg des Medienfürsten an die Macht gestaltete sich auch sein Sturz und Fall. Also alles wieder in Ordnung? Ist die Demokratie gerettet, hat sich die Realität doch noch einmal durchgesetzt und sich nur der "Hang zum Parodistischen" der Italiener (Montanelli in: Der Spiegel Nr. 14/1994) erneut bewiesen? Oder hat der Fall Berlusconi weitergehende Folgen, ist das "Ende der Politik, das Ende der Demokratie" (Virilio, s.o.) endgültig eingeläutet?

Ob Komödie oder Tragödie ­ das politische Schauspiel Berlusconis an der Spitze Italiens läßt sich am treffendsten in Worten des Dramas beschreiben, mag die Metapher von der "Welt als Bühne" auch nicht mehr die allerfrischeste sein. Hatte doch Berlsuconis Aufführung von Anfang an groteske Züge ­ wer konnte sich tatsächlich den Konzernchef als politischen Führer vorstellen, der ohne jeglichen Interessenkonflikt allein zum Wohle seines Landes regieren würde? ­ und steigerte sich zum Ende hin zusehends in seiner Theatralik: Der Ministerpräsident, der unter Berufung auf seine Kinder seine Unschuld beschwor und zugleich seine Gegner verteufelte, nur um an der Macht zu bleiben ­ eine vollendete Farce, ein bewegendes Rührstück.

In fünf Akten geht alles über die Bühne. Am Anfang steht der Zusammenbruch des alten Systems, der den protektionslos gewordenen, aber Erfolg gewohnten Unternehmer in die Politik treibt. Es folgt der nach allen Mitteln der Kunst und des Marketings betriebene Wahlkampf, der im dritten Akt den Sieg bringt und in die Phase der Machtsicherung überleitet. Doch im vierten Teil steigert sich bei zunehmendem Gefühl der Überlegenheit des Ministerpräsidenten zugleich die Abwehr gegen sein Regime. Die Kritik der noch nicht gleichgeschalteten Presse an seinem Führungsstil wird lauter und lauter, die Gewerkschaften blasen zum Aufruhr und auch das Volk empört sich zusehends. Alle Zeichen stehen auf Sturm ­ der sich dann in Form heftigster Regenfälle über halb Oberitalien ergießt. Die Katastrophe wird unausweichlich, als der Mann aus den eigenen Reihen, Umberto Bossi, wie Brutus dem Führer in den Rücken fällt. Zwei Tage vor Weihnachten rettet der Hintergangene Leib und Leben durch seinen vorzeitigen Rücktritt ­ auf Rache sinnend ...

Dieses Historiendrama will ich im folgenden in seine einzelnen Szenen unterteilen und dabei vor allem den zweiten Akt, den Wahlkampf, näher beleuchten. Es gilt zu klären, in welche Rollen der schlaue Unternehmer schlüpft, welche Masken er trägt, welche Sprache er spricht und welche Mythen er sich zunutze macht. All dies wird das Imago, oder neuzeitlicher gesagt: das Image, ergeben, dessen Veränderungen im weiteren zusätzliche Aufschlüsse über die Inszenierung Berlusconis geben werden. Doch zuvor muß die Bühne für das Stück bereitet, müssen grundsätzliche Fragen der Regie beantwortet werden. In welcher Wirklichkeit, welchem System spielt das Stück? Spielt es überhaupt noch auf dem Boden der Realität? Mit welchen Medien wird der Kampf ausgetragen? Und die wichtigste Frage: Was hat das Fernsehen im Theater verloren? Begeben wir uns also zunächst auf die mal mehr, mal weniger ausgetretenen Pfade der Komunikationstheoretiker und Politikwissenschaftler, bevor wir in die Welt der inszenzierten Bilder des Medienfürsten eintauchen.

Einleitung zum Buch: Das Phänomen Berlusconi von Stefan Krempl.

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