Die Selbstinszenierung Berlusconis während der Ersten Republik -- eine Image- und Rollenanalyse
Personen des öffentlichen Interesses -- mögen es nun Schauspieler,
Großunternehmer, Politiker etc. sein -- müssen sich selbst darstellen,
müssen ein Bild oder mehrere Bilder von sich selbst entwerfen,
sonst kommen sie beim Publikum bzw. bei den Wählern, also bei
den Massen, nicht an. Der erste große moderne Massenpsychologe,
Le Bon, hat dies bereits deutlich beschrieben: "Die Massen können
nur in Bildern denken und lassen sich nur durch Bilder beeinflussen
(1968, 44). Ziel und Zweck der Selbstdarstellung ist es nun, diese
Bilder der eigenen Person in den Köpfen der Massen möglichst genau
zu kontrollieren. Das hört sich eigentlich ganz einfach an, ist
aber tatsächlich eine komplizierte und multikausale Sache, da
die Masse zum einen ihr Eigenleben hat und sich nicht vollständig
auf ein Bild eines Menschen festlegen, konditionieren läßt. Die
Phantasie der Menschen kann zwar angeregt werden, aber die entstehenden
Bilder können nicht bis ins Detail vorgefertigt werden. Zum anderen
besteht zwischen Menschen als Interaktionspartnern immer eine
Interdependenz, eine wechselseitige Beeinflussung. Das Selbstbild
einer Person entsteht so erst durch die Übernahme der Perspektiven
ihrer Kommunikationspartner. Selbstdarstellung besteht also nicht
in einem rein einseitigen Informationsfluß vom sich selbst in
Szene Setzenden zu seinem Publikum hin, sondern ist ein dynamischer,
reziproker Prozeß. Deswegen können die angestrebten Selbstbilder
einer Person sich auch von den tatsächlich akzeptierten Bildern
in den Köpfen der Rezipienten unterscheiden. Die Ausdrucksmöglichkeit
des Einzelnen wird daher getrennt in den Ausdruck, den er sich
selbst gibt, und den Ausdruck, den er ausstrahlt (vgl. Goffman
1988, 6).
Die Selbstbilder einer Person bündeln sich in den Köpfen der Öffentlichkeit
zu einem Image. Ich hatte das Image bereits in diesem Sinne als
die Gesamtheit aller vermittelten öffentlichen Selbstbilder definiert.
"Image ist ein in Termini sozial anerkannter Eigenschaften umschriebenes
Selbstbild, -- ein Bild, das die anderen übernehmen können (Goffman
1986, 10). Als sozialpsychologisches Konstrukt kommt dem Image
vor allem eine verhaltensregulierende und -kontrollierende Funktion
zu: Menschen orientieren sich an bestimmten Images von Personen
und treffen davon ausgehend Entscheidungen, wobei die affektiven
und emotionalen Komponenten meistens die kognitiven überlagern.
Vor allem von Marketing- und Werbestrategen wurde deshalb die
Wirkung von Images bewußt geplant und kalkuliert, um in den übersättigten
Verbrauchermärkten überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen. Denn
die Macht des Images ist groß: "Als Orientierungshilfe (a) haben
Images einen "seelischen Entlastungswert (b). Sie beeinflussen
Wahrnehmung und Urteil (c), wirken verhaltenssteuernd (d) und
befriedigen Bedürfnisse (e), dies sie speziell wecken können (f)
(Pöhlmann 1967, 6).
Mit der Übertragung des Marketings auf die verschiedensten Bereiche
der Öffentlichkeit wird nun davon ausgegangen, daß auch das Image
eines Politikers, Showstars oder "des Beamten bewußt durch Kommunikation
aufgebaut bzw. verändert werden kann. Dabei muß natürlich beachtet
werden, daß Entwicklung und Wandel eines Images langfristige Vorgänge
sind, und daß sich einmal gebildete Images als relativ stabil
erweisen. Wer sich auf eine Rolle festgelegt hat, darf nicht aus
ihr herausfallen. Allerdings ist ein Image immer innerhalb gewisser
Grenzen von "innen korrigierbar und von "außen manipulierbar.
Am besten lassen sich zum Aufbau eines Images alle Mechanismen
zur Reduzierung der Komplexität verwenden, die wir in den letzten
Teilen kennengelernt haben: Symbole, sprachliche Vereinfachungen
und rhetorische Figuren, Mythen etc. sind besonders gut geeignet,
Bilder entstehen zu lassen und sind Voraussetzungen für ein prägnantes
Image, das letztlich immer eine Bewertung und Vereinfachung (Typisierung)
auf als charakteristisch empfundene Details darstellt.
Grundlage für das Image einer Person sind damit zunächst verbale
Äußerungen. Was ein Mensch sagt, aber auch wie er es zum Ausdruck
bringt, verrät viel von seiner Selbstdarstellung. Daneben konstituiert
sich ein Image aber auch aus dem, was ein Mensch ausstrahlt, aus
seinem Nimbus, seinem Prestige. Die beiden, letztlich identischen
Begriffe sind eng mit dem des Images verbunden. Das Prestige (von
lat. praestigium, d.h. Kunststück, Illusion bzw. Zauber) einer
Person bezeichnet sein Ansehen und seine Geltung. Es hat genauso
wie das Image eine stabilisierende Funktion, allerdings ist ihm
eine stärker die Massen mobilisierende Funktion zu eigen (vgl.
Schwartzenberg 1980, 264f). Der Nimbus (aus dem Lateinischen,
war ursprünglich ein Wort für die Aura eines Menschen bzw. für
den Heiligenschein und erweiterte sich ebenso wie Prestige zu
der Bedeutung Ansehen sowie Geltung) oder das Prestige sind so
"eine Art Zauber, den eine Persönlichkeit, ein Werk oder eine
Idee auf uns ausübt. Diese Bezauberung lähmt alle unsere kritischen
Fähigkeiten und erfüllt unsere Seelen mit Staunen und Ehrfurcht
(Le Bon 1968, 93). Verbunden mit suggestiver und meist aus den
Schätzen des Mythos schöpfender Kraft kann das Prestige deshalb
eine Überprüfung seiner Inszenierung an der Realität verhindern,
und wird zum "mächtigsten Quell aller Herrschaft (ebd.). Das
Prestige kann dabei künstlich erworben sein, etwa mit einem Erbe
oder allein aufgrund der Stellung einer Person. Seltener ist der
persönliche Nimbus, der allein auf der charmanten (zauberhaften)
und symphatischen Erscheinung eines Menschen beruht, aber natürlich
durch Reichtum oder Titel verstärkt werden kann. Mit Weber kann
man diese persönliche Ausstrahlung auch als Charisma bezeichnen,
das einem Menschen übernatürliche oder zumindest außeralltägliche
Kräfte und Eigenschaften zuschreibt (vgl. Weber 1964, 179).
Wer sich dauerhaft ein prestigeträchtiges Image verpassen will,
verfolgt damit eine langfristig angelegte Strategie, ein verbales
oder nonverbales Verhaltensmuster zur Einschätzung menschlichen
Handelns. Er will mit dieser assertiven Strategie einen positiven
Eindruck behaupten und erwecken. Dabei zielt er darauf, sich insgesamt
als glaubwürdig (in Reden und Handeln übereinstimmend), vertrauenswürdig
(ehrlich), attraktiv (in seinen Ideen und seiner Erscheinung),
kompetent (reich an Fähigkeiten und Erfahrungen), als einem gewissen
Status angehörig darzustellen (vgl. Tedeschi/Norman 1985, 293ff).
Zur Selbstdarstellung kann man natürlich auch im Kleinen und gezielt
auf positive bzw. assertive Taktiken zurückgreifen. Dabei wird
eine Person häufig um Sympathien werben, sich einschmeicheln und
Attraktivität zuschreiben (ingratiation) oder sich selbst als
kompetent sowie verantwortungsbewußt darstellen (self-promotion).
Der einzelne kann sich aber auch als moralisch integere und vorbildhafte
Person darstellen (exemplification), sich hilflos zeigen und nach
Mitleid heischen (supplication) oder die anderen einzuschüchtern
suchen (intimidation). Alle diese Taktiken versuchen, kurzfristig
in einer Interaktion bestimmte vorteilhafte Ergebnisse zu erzielen
(vgl. Jones/Pittman 1980, 231ff).
Andererseits kann man auch versuchen, langfristig einen ungewollten
Eindruck oder Schuldzuschreibungen von sich zu weisen. Man kann
defensive Strategien wie Leugnen (wie es Berlusconi z.B. langfristig
hinsichtlich seiner Verstrickung in die Machenschaften der P2
macht) oder Umdeuten anwenden bzw. von vornherein auf mythische
Welterklärungen auf einer Metaebene ausweichen. Defensive Verhaltensweisen
eignen sich allerdings besser für kurzfristige, auf nur einen
bestimmten Fall bezogene Manöver, da eine Person sonst schnell
insgesamt unglaubwürdig erscheint. Mit spezifischen defensiven
Taktiken wie dem Verwenden von Ausreden, Rechtfertigungen, Schuldzuweisung
oder auch mit der Bitte um Vergebung kann man sich besser mal
darum drücken, die Verantwortung für ein negatives Ereignis zu
übernehmen.
Im sozialen Interaktionsbereich läßt sich ein bestimmtes Image
am besten über eine Selbstdarstellung erreichen, die sich Techniken
des Schauspiels und des Theaters zum Vorbild nimmt. Goffman hat
dies eindrücklich beschrieben: "Wir alle spielen Theater und
greifen dabei auf vorbestimmte, stereotype und teilweise ritualisierte
Handlungsmuster, auf Rollen zurück (vgl. 1988, 18). Wir schlüpfen
in Rollen, verhalten uns in bestimmten Situationen so, wie man
es von uns erwartet. Dabei müssen wir unsere Darstellung nicht
jedesmal neu definieren: Die Gesellschaft kann Rollen an Fassaden,
am "standardisierten Ausdrucksrepertoire eines Mitspielers erkennen.
Hinweise geben dazu das Bühnenbild und die Ausstattungsgegenstände
sowie die persönliche Fassade eines Rollenträgers, die alle Ausdrucksmittel
umfaßt, "die wir am stärksten mit dem Darsteller selbst identifizieren
und von denen wir erwarten, daß er sie mit sich herumträgt. Das
fängt bei der Kleidung an und erstreckt sich über die Sprechweise,
die Gestik und die Grundstimmung bis zu seinem Alter (vgl. ebd.,
23ff). Sie umfaßt also seine Erscheinung, sein Verhalten und seine
Haltung, seine Selbstkontrolle.
Das Publikum eines Darstellers kann nicht immer sofort und in
allen Details überprüfen, ob seine Rolle realistische Züge hat.
Oft bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Anschein
zu verlassen, den der Schauspieler erzeugt. Wir hatten bereits
gesehen, daß sich vor allem Politiker die Eigenschaften von Rollen,
die immer die Möglichkeit zum Falschspielen in sich tragen, zunutze
machen für die Inszenierung des Scheins.
Zum Abschluß des Vorspiels werde ich die Rollen vorstellen, in
denen Berlusconi bis zum Beginn des Hauptstückes auftritt. Dabei
werde ich die sich aus den Rollen ergebenden Imagekonstituenten
benennen und -- soweit möglich -- miteinander verbinden. Die Rollen
Berlusconis lassen sich nach wirtschaftlichen, soziokulturellen
und historischen Bezügen unterscheiden, wobei mythische Elemente
sich in allen Teilbereichen einnisten können. Zudem muß man differenzieren
zwischen Rollen, die Berlusconi spielen will, die er bewußt lenkt,
und anderen, die sich zusätzlich und sozusagen wie von selbst
in den Köpfen der Zuschauer festsetzen. Diese Aufteilungen ergeben
sich allerdings am besten aus der Gesamtansicht über Berlusconis
Rollenrepertoire, die im Abschlußresümee zu finden ist.
Eine absolute Trennschärfe ist zwischen der Vielzahl der Rollen
nicht zu erreichen und würde auch ihrem realen Ineinandergreifen
widersprechen. Manche Rollen bauen notwendigerweise aufeinander
auf oder ergänzen sich naturgemäß, andere widersprechen sich,
da sie sich an unterschiedliche Teilpublika richten. Viele sind
im Präludium auch erst locker angelegt und werden im Hauptstück
ihre Reife erleben. Auf eine Analyse von Bühnenbildern und auch
von der persönlichen Fassade Berlusconis werde ich hier beim Vorspiel
verzichten. Sie wird Teil des eigentlichen Dramas sein.
Auf den ersten Blick erscheint Berlusconis Aufstieg als die glorreiche
Erfolgsstory. Vom kleinen Niemand entwickelt er sich zuerst zum
Baumeister von ganzen Stadtteilen, dann zum Kontrolleur über drei
Fernsehkanäle und schließlich zum Herrscher über ein weitverzweigtes
Imperium, das seinesgleichen sucht und ihm persönlich gehört.
27 000 Beschäftigte arbeiten für ihn, fast 30 Millionen -- die
Hälfte der Italiener -- sehen seine Programme. Beeindruckende
Zahlen, die man nur im Munde zu führen braucht, um als Star unter
den Unternehmern angesehen zu werden. Ein solches Image ist quasi
ein Selbstläufer, dem man kaum auf den Zahn fühlen kann.
Denn das Curriculum vitae des Unternehmers weist auch seine schwarzen
Seiten auf: Da sind zunächst die roten Zahlen. Selbst für ein
Unternehmen von der Größe der Fininvest sind Schulden von über
vier Milliarden Mark kein Pappenstiel. Oder wie LEspresso es
ausdrückt: Die Fininvest "ist so mit Schulden beladen, daß es
schon knarrt (7.1.1994, 38f). Insgesamt laufen die Geschäfte
Berlusconis oft mehr recht als schlecht, und seit neuestem fallen
auch im sonst so erfolgreichen TV-Bereich Verluste an, 1993 z.B.
rund 18 Milliarden Lire (vgl. ebd.). Dazu kommen regelrechte Pleiten
im außeritalienischen Fernsehbereich: Berlusconis europäischer
Traum zerplatzt Mitte der Achtziger recht schnell, als er den
französischen Sender Telecinq nach kurzer Zeit dichtmachen muß.
Auch das spanische Telecinco und das deutsche Gemeinschaftsprojekt
mit Leo Kirch, Telefünf (inzwischen Deutsches Sportfernsehen),
dümpeln jahrelang lahm vor sich hin.
Allerdings führen diese Mißerfolge nicht unmittelbar zu einem
Negativ-Image Berlusconis. Die meisten Italiener wollen diese
wenig imposanten Seiten des Unternehmers einfach nicht sehen.
Das liegt zum einen daran, daß jahrelang über diese Minusgeschäfte
nichts an die Öffentlichkeit gelangte. Später war das Erfolgsimage
dann bereits so gefestigt, daß es über diesen "niederen Dingen
stand. Zum anderen trägt das Bild des erfolgsgewöhnten Unternehmers
von sich aus mythische Züge in sich. Es knüpft vor allem an die
modernen Mythen des amerikanischen Kapitalismus an, an Gestalten
wie Rockefeller, Carnegie oder im Medienbereich auch an den selbst
bereits zu Citizen Kane verklärten Hearst. Und diese Züge überdecken
an Ausstrahlungskraft fast jeden Mißerfolg.
Zudem liest sich der Werdegang Berlusconis wie eine Geschichte
aus Tausend-und-eine-Nacht. Er hat Elemente eines Märchentraumes,
scheint von übernatürlichen Kräften vorherbestimmt zu sein. Und
Silvio Berlusconi weiß, wie er sein Märchenimage lebendig halten
kann, indem er sich als Identifikationsfigur für die Massen anbietet,
ohne allerdings den kleinen, aber feinen Unterschied zu vergessen:
"Keiner verfolgt seine Ziele hartnäckiger als ich; der große Unterschied
zwischen den anderen und mir ist, daß die Träume der anderen Träume
bleiben, während ich meine Träume in die Wirklichkeit umsetze
(Bio 30). Zur Märchengeschichte paßt zudem auch der unschätzbare
Reichtum, den Berlusconi angehäuft hat. Schon am Ende der siebziger
Jahre beginnt der damals noch im Baugewerbe tätige Unternehmer,
sich öffentlich als "reichster Mann Italiens auszugeben (Bio
52). Dabei weiß eigentlich bis heute keiner, wie reich er wirklich
ist -- selbst sein Vermögen ist zu einem Mythos geworden. Insgesamt
befreien so die zahlreichen mythischen und märchenhaften Anknüpfungen
das saubere und auf Erfolg beruhende Image Berlusconis von allen
(berechtigten) Zweifeln; Berlusconi ist in den Augen vieler Italiener
einfach zum Erfolg verdammt.
Diese Glorifizierung wird durch einen traditionsreichen historischen
Mythos noch verstärkt: Berlusconi hat das Image eines König Midas;
alles, was er anfaßt, verwandelt sich zu Gold: Die Stadtteile,
die er baut, werden zu begehrten Luxuswohngegenden, die Fernsehkanäle,
die er errichtet oder aufkauft, entwickeln sich zu wahren Goldgruben.
Alles störende -- wie z.B. Milano 3 oder das Einkaufszentrum Il
Girasole -- wird aus diesem Bild geradezu automatisch ausgeblendet.
Berlusconi ist nicht nur ein angesehener Geschäftsmann und erfolgreicher
Unternehmer, er gibt sich auch gerne als ein Mann aus, der das
ihm zu Füßen liegende Imperium allein mit seiner eigenen Hände
Arbeit errichtet hat: Aus dem Mailänder Kleinbürgertum heraus
hat er es zu einem der mächtigsten Männer Italiens geschafft.
Silvio Berlusconi selbst wird nicht müde, seine eigene Leistung
immer wieder zu betonen, und bezeichnet sich gerne als "Unternehmer,
der ein Wunder vollbracht hat (Bio 30). Damit strickt er weiter
am Mythos des kleinen Mannes, der es ganz nach oben bringt, inszeniert
sich als Verwirklicher des italienischen Traums, der dem American
Dream (vom Tellerwäscher zum Star) in nichts nachsteht. Das einzige
ihm bekannte Rezept zum Erfolg ist dementsprechend allein "Blut,
Schweiß und Tränen (ebd.). Zugute kommt Berlusconi in diesem
Zusammenhang auch seine regionale Abstammung, auf die er oft verweist.
Denn er ist Lombarde und Lombarden sind -- wie die Schwaben --
bekanntlicherweise "Europäer von der fleißigen, erfinderischen
Sorte sowie "außerordentlich selbstsicher, wie Berlusconi z.B.
in einem Interview mit dem Spiegel erklärt (Nr. 32/1994, 117).
Aber der Fleiß allein reicht nicht aus. Der Riecher für die guten
Geschäfte muß dazukommen: "Ich erfasse alles instinktiv, wie es
meine Mutter einmal ausgedrückt hat. Ich bin eine Art Hexenmeister
(Bio 30). Strebsamkeit und natürliche Begabung -- das ist der
Stoff, aus dem Helden entstehen können.
Besonders stolz ist Berlusconi darauf, daß er und seine Fininvest
nicht am Tropf des Staates hängen: "Wir haben niemals irgendeine
Art von Unterstützung vom Staat nötig gehabt, verkündet er mit
geschwellter Brust. Was allerdings so nicht stimmt, denn 1989
z.B. hat er Staatsgelder in Höhe von 5,3 Milliarden Lire für den
Giornale kassiert, und im folgenden Jahr diesselbe Summe (vgl.
LEspresso vom 11.3.1994, 41). Trotzdem beteuert der Self-Promoter
gerne, daß die Fininvest allein "von meiner Kreativität und meinem
Einsatz lebt (LEspresso vom 11.3.1994). Insgesamt entpuppt sich
die Sage vom Selfmademan beim genaueren Hinsehen allerdings als
reiner Mythos, der verschleiern soll, inwieweit Berlusconi von
den Staatsfinanzen und dem staatlichen Pfründenwesen profitiert
hat. Denn nicht so sehr seiner Genialität als Unternehmer, als
vielmehr seinen Verstrickungen in das Netz der Korruption des
Parteienregimes, der Mafia und der P2 verdankt der Aufsteiger
seine Erfolge. Sein Kapital erwirbt er sich nicht allein durch
eigenes Arbeiten, sondern ein Großteil fließt ihm aus den großen
Mafia-bzw. P2-Banken Italiens und vor allem aus mysteriösen Quellen
aus der Schweiz zu. Das Erfolgsgeheimnis eines Mannes, der aus
dem Nichts kommt, "ist in den Panzerschränken einiger Schweizer
Finanzgesellschaften verwahrt. So erklären Ruggeri und Guarino
die Legende Berlusconi (Bio 72). Ein weiterer Grund für Berlusconis
Aufstieg liegt in der engen Kumpanei mit Bettino Craxi, der seinem
Freund, Schützling und Wahlhelfer bereitwillig alle politische
Unterstützung zukommen läßt, die nur denkbar ist. Der Eigenanteil,
den der Othermademan Berlusconi an seinem Erfolg trägt, dürfte
so dank der von so vielen Seiten gewährten Hilfestellung sehr
viel kleiner sein, als allgemein angenommen.
Von Ort zu Ort jagend, zwischen Rom und Mailand pendelnd, im Privatjet
oder im Auto, mit einem Mobiltelefon in der Hand, immer beweglich,
auf Achse und in Action, so möchte sich Silvio Berlusconi am liebsten
sehen und gesehen werden. Tatsächlich ist er ein Arbeitstier,
sitzt oft bis weit in die Nacht hinein am Schreibtisch und fühlt
sich nicht wohl, wenn er nicht überall (gleichzeitig) mitmischen
kann: "Wenn Berlusconi nicht arbeiten kann, hat er keine Freude
am Leben, sagen seine Mitarbeiter über ihn (vgl. Bio 24). Der
Manager wird so zum Macher und versteht es geschickt, sich als
"Verkörperung des Marketings darzustellen (Dario Fo in Im Spinnennetz,
ARD 1994). Und tatsächlich fordert er selbst viel von sich, ist
überzeugt, daß man "Tag und Nacht in Form sein muß, "wenn man
es im Leben wirklich zu etwas bringen will (s. Bio, 25). Damit
entspricht er voll den bürgerlichen Idealen von Effizienz bis
hin zur Pedanterie und läßt auch den kleinen Mann davon träumen,
es mal genauso weit zu bringen wie er, der große Manager.
Dabei wissen lange Zeit eigentlich nur seine engsten Mitarbeiter
und Freunde, was der Boss den lieben langen Tag tatsächlich so
treibt. Denn "der typische Tagesablauf Berlusconis in den achtziger
Jahren gerät zum Mythos, da man bewußt versucht, ihn geheim zu
halten (Bio 23). Ruggeri und Guarino lassen uns aber einen Blick
hinter die Kulissen werfen: "An den meisten Tagen klingelt sein
Wecker schon gegen sechs Uhr: Berlusconi streift den Trainingsanzug
über und geht zum Jogging in den großen Park seiner Villa. Danach
wirft er einen Blick in die Tageszeitungen und unter dem Schutz
seiner Leibwächter begibt er sich dann in sein Hauptquartier in
der Mailänder Innenstadt (Bio 23f). Es folgen die üblichen Geschäftstermine
und Besprechungen mit Geschäftsleuten, Politikern und Bankiers,
nur von einem kleinen Arbeitsessen unterbrochen. Erst am Abend
ist Berlusconi wieder allein und blättert in Ruhe Akten und Unterlagen
durch. Sonntags trifft er sich regelmäßig mit seinem Direktionsstab
in seiner Villa. Nach einem Lagebericht werden dort neue Strategien
und Initiativen entwickelt. "In seiner freien Zeit spielt Berlusconi
so oft er kann Tennis oder er geht joggen -- getrieben wird er
dabei von der panischen Angst, fett zu werden (Bio 24). Auch
Alkohol und Zigaretten sind für ihn tabu.
Von Berlusconis Vorliebe für schöne Frauen haben wir bereits gehört.
Der Geschäftsmann spielt in seiner Freizeit gerne den Playboy
und kommt bei vielen Frauen auch gut an, denn er hat Stil, Reichtum
und Macht zu bieten. Sein opulenter Lebensstil ist spätestens
seit den Seifenopern Dallas und Denver, die natürlich auf seinen
Sendern laufen, selbst zum Zeichen für sexuelle Potenz geworden.
Und weil er sich -- auch während seiner ersten Ehe -- gerne den
Frauen widmet, folgt ihm der mythische Ruf eines Casanovas bei
seinen Angebeteten auf Schritt und Tritt.
Das Image des Verführers tauscht Berlusconi vor einem bürgerlichen
und katholischen Publikum schnell gegen das Vorbild des guten
und treuen Ehemanns und liebenden Familienvaters ein: Als er seine
zweite große Liebe und spätere zweite Ehefrau kennenlernt, bemüht
er sich zunächst mehrere Jahre lang, die Beziehung geheimzuhalten
und sperrt Veronica Lario in einen goldenen Käfig -- in einen
Zweitflügel seines Mailänder Firmengebäudes -- ein. Die Schauspielerin
gebiert sogar ihr erstes Kind heimlich in der Schweiz, nur um
den Ruf Berlusconis als untadeligen Ehe- und angesehenen Geschäftsmann
nicht zu ruinieren. Erst kurz vor der Geburt des zweiten gemeinsamen
Kindes läßt sich die Scheidung von Berlusconis erster Ehe nicht
mehr verhindern.
In der neuen Ehe scheint Berlusconi nun seine Erfüllung gefunden
zu haben und in der Rolle des liebenden Gatten aufzugehen. Veronica
versichert zumindest in der Epoca, daß das "vor 15 Jahren begonnene
Liebesgeflüster mit ihrem "hinreißenden Gatten "seitdem nicht
unterbrochen wurde (zitiert nach LEspresso vom 3.6.1994, 64).
Insgesamt harmoniert die blonde Gattin stark mit dem Bild des
Ehemannes als Liebhaber: Sie widmet sich voll und ganz dem häuslichen
Leben sowie den Kindern, auf deren gesunde Ernährung sie besonders
achtet und deswegen selbst Gemüse im biodynamischen Verfahren
anbaut. Zu ihrer Rolle als verantwortungsvolle Mutter gehört aber
auch, Kontrapunkte zu ihrem als Intriganten bekannten Ehemann
zu setzen (Die Schöne und das Biest). So schreibt die gelernte
Schauspielerin angesichts allzu freizügiger Sendungen auf den
Kanälen ihres Mannes schon mal einen öffentlichen Brief an die
Fininvest, um die Verantwortlichen zu mehr Tugend zu ermahnen
und das Land vor einer weiteren Verlotterung der Sitten zu bewahren.
Auch Berlusconis Kinder haben einen festen Platz in seinem Leben:
Der ansonsten so gestreßte Manager zeigt sich gerne mit ihnen
in der Öffentlichkeit, geht mit ihnen zum Sport, auf die Piazza
oder spielt mit ihnen am Computer. Auffällig dabei ist aber, daß
er sich seit einiger Zeit nur noch mit seinen drei kleinen Kindern
aus zweiter Ehe zeigt. Das soll von der anhaltenden Potenz des
inzwischen 58jährigen zeugen und sein wahres Alter verheimlichen
-- erklärt Dario Fo (vgl. Im Spinnennetz, ARD 1994).
Besonders stolz ist Berlusconi auf die Tatsache, daß er als "Einzelkämpfer
die RAI besiegt hat. Nicht nur weil er ihr zahlreiche Zuschauer
und, damit verbunden, Werbekunden abgenommen hat, sondern weil
er das Staatschiff RAI insgesamt auf einen Unterhaltungs-Kurs
gezwungen hat, der dem der Fininvest-Kanäle immer ähnlicher wird.
Zur Verdeutlichung greift Berlusconi hier zum ersten Mal in den
biblischen Fundus und schlüpft in die Rolle des jüdischen Schafhirten
David, der mit seiner Steinschleuder den mächtigen, gegnerischen
Riesen Goliath zu Fall bringt: "Ich bin nur ein kleiner Mann,
der es gewagt hat, sich mit dem Koloß des staatlichen Fernsehens
anzulegen (in LEspresso vom 5.8.1994, 36). Auch hier hilft das
griffige Bild erneut, die Realität zu verschleiern. Verschweigt
es doch die Hilfestellung Craxis und die Rückendeckung durch den
"Plan der P2, die Berlusconi erst den Kampf gegen die RAI ermöglichten.
Silvio Berlusconi ist der Heilsbringer für den durchschnittlichen
Italiener, denn er gibt ihm das kommerzielle Fernsehen und die
Art von Unterhaltung, die er zum Glücklichsein braucht. Dazu besetzt
Berlusconi im freien Gesetzesraum Italiens zunächst alle zur Verfügung
stehenden Frequenzen und kauft anschließend die Sender von mißliebigen
Konkurrenten auf. Die Mehrheit der Italiener, die von den ernsten
Informationssendungen der RAI längst gelangweilt ist, scheint
nur darauf gewartet zu haben und gibt sich hemmungslos den Quizsendungen,
Serienhelden und Nacktshows auf Berlusconis Sendern hin.
Nirgendwo in Europa ersetzt das Fernsehen bald so stark die Außenwelt,
wie in Italien. Viele Italiener verbindet heutzutage eine besondere
Beziehung mit la tivu, das zu einem Instrument der Identifikation
geworden ist: Fernsehen fungiert als Objekt der Unterhaltung,
Ersatz für das Kino und gibt eine viel bessere Möglichkeit zur
Kommunikation (mit den Moderatoren) als jede anstrengende Diskussion
auf der Piazza. Und all das verdankt Italien einem einzigen Mann,
Silvio Berlusconi, der mit seinem "gnadenlosen Unterhaltungsfernsehen
nach US-Vorbild im Italien der achtziger Jahre eine Kulturrevolution
ausgelöst hat (Der Tagesspiegel vom 4.1.1994). Sua Emittenza
(von ital. emittente -- Sender und ital. eminenza -- Titel für
hochstehende kirchliche Würdenträger), seine Fernsehhoheit, nennen
die Italiener den Kardinal des Fernsehens -- in einer Mischung
aus Verehrung und Spott zugleich.
Berlusconi versteht es natürlich, aus seinem Erfolg im Fernsehsektor
einen Profit für sein Image zu ziehen, indem er sein kommerzielles
Fernsehen als einen der wichtigsten Faktoren für den wirtschaftlichen
Aufschwung ausgibt: "Ich jedenfalls bin davon überzeugt, daß das
Privatfernsehen landesweit eine wichtige Rolle im Bereich der
Information, der Kultur und der Unterhaltung spielen wird. Das
bedeutendste Resultat wird sein, daß es der Wirtschaft zum Aufschwung
verhilft. Kurz gesagt: Wer heute ein Glas verkauft, kann morgen
mit Hilfe des Fernsehens fünf verkaufen. Also werden fünf Gläser
hergestellt werden, es wird mehr Beschäftigung geben, die gesamte
Wirtschaft wird in Schwung kommen (Bio 62).
Nicht nur um das Fernsehen, auch um den fast genauso geliebten
Fußball macht sich Berlusconi verdient. Er rettet den AC Mailand
vor seiner Versenkung in die Bedeutungslosigkeit und führt ihn
mit Stareinkäufen, wie z.B. von Ruud Gullit, wieder an die Spitze
der italienischen Liga und der Popularitätsskala der Fans. Zugleich
steigert der clevere Geschäftsmann damit seine eigene Popularität
in gewaltigem Maße und sammelt Pluspunkte fürs Image. Denn er
weiß, daß in einem fußballverrückten Land wie Italien Fußball
mit Kommunikation gleichzusetzen ist und als idealer Werbeträger
fungieren kann. Bereits Jahre zuvor konnte sich Berlusconi ebenfalls
als großzügiger Spender erweisen, als er das Teatro Manzoni vor
dem sicheren Konkurs rettete.
Wem die Italiener soviel zu verdanken haben -- das Privatfernsehen
und den Fußball zugleich --, dem schenken sie nur allzu gerne
ihre Gunst. Und die Vorliebe vieler Italiener für persönliche
Erfolgsstories tut das übrige: Berlusconi, genauso wie den Papst,
kennt in Italien jedes Kind, er wird als "großer Patron gefeiert.
In manchen Bars und Restaurants hängt deshalb seit Jahren nicht
etwa das Bild des Staatspräsidenten, sondern ein Foto des TV-Königs,
ein Bildnis von "Seiner Königlichen Hoheit Silvio I..
Vor dem Start des Stückes hat sich der Hauptdarsteller bereits
ein stattliches Repertoire an Rollen zurechtgeschneidert, auf
das er jederzeit zurückgreifen kann. Teilweise sind die Rollen,
z. B. die des erfolgreichen Unternehmers, bereits so eingespielt,
daß sie mit Berlusconis Auftreten automatisch assoziiert werden.
Das erspart dem Darsteller viel Mühe: Einige (Selbst-)Zitate reichen
aus -- und das Publikum ist im Bilde. Damit ist die Möglichkeit
eines freien Spiels mit den Rollen, ein Jonglieren mit Figuren
gegeben. Viele Rollen scheinen auch noch ausbaufähig, da das Image
Berlusconis insgesamt bei einem großen Teil der Italiener bereits
legendäre Züge angenommen hat und ihn zu Höherem geradezu prädestiniert
erscheinen läßt. Vermischt mit zahlreichen Mythen ist sein Bild
weitgehend verklärt, weshalb selbst Inkohärenzen in der Darstellung
und sich widersprechende Rollen zumindest teilweise akzeptiert
werden. Auch der Phantasie der Zuschauer sind durch die ungelösten,
mystischen Rätsel im Werdegang des Kavaliere -- der sich nur schwer
zwischen Politthriller und Seifenoper ansiedeln läßt -- Tür und
Tor geöffnet, sie können also eigenhändig an der Legende des Akteurs
nach Belieben weiterspinnen.
[Index]