Personalisierung, Image und Starsystem

Bevor wir uns näher mit der Frage beschäftigen, welche Machtvorteile gerade Politiker in der Entpolitisierung der Politik durch das Fernsehen sehen, werde ich zunächst einen Aspekt der Politikdarstellung im Fernsehen näher beleuchten, und zwar den der Personalisierung. Nun ist zunächst einmal festzuhalten, daß die Führerpersönlichkeit in der Politik kein neues Phänomen ist. Von Alexander, Cäsar und Augustus über Napoleon bis hin zu Hitler und Stalin wurde die "große“ Politik häufig von geborenen oder selbstbestimmten Führerfiguren gemacht. Max Weber hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Charismas, der "Gnadengabe“, hingewiesen, die neben der traditionalen und der auf sachlicher Kompetenz beruhenden Herrschaft insbesondere die politische Führereigenschaft kennzeichne. Gerade im charismatischen Führer sieht Weber den Politiker kraft "Berufes“, den wahrlich berufenen Staatsmann, der allerdings wenig mit dem Berufspolitiker gemein hat (vgl. 1958, 495f).

Neu ist im Fernsehzeitalter aber, daß nur noch die Persönlichkeit eines Politikers zählt, daß Politik nur noch personifiziert dargestellt wird und sich Politiker auch -- ob bereitwillig oder gezwungenermaßen mag dahingestellt sein -- vehement im Fernsehen selbst darstellen. Und zwar nicht nur in den Nachrichten, sondern auch in gesonderten Fragestunden (?Was nun, Herr ...“, "Zur Sache Kanzler“) sowie in (fast) jeder Talkshow. Im Fernsehen ist der Zwang zur Visualisierung von Haus aus besonders hoch, denn das Fernsehen lebt vor allem von Großaufnahmen. Wer dort die Menschen erreichen will, muß sich selbst als Entertainer und nicht irgendwelche Sachprogramme zur Schau stellen. "Jeder Mann ist zur Selbstdarstellung aufgerufen, wenn das Auge der Kamera zusieht“ (Thomas 1988, 20). Schon während der siebziger Jahre hatte sich das Publikum in diesem Sinne langsam daran gewöhnt, "daß es politische Gestalten als Teil der Welt des Showbusiness wahrzunehmen hatte“ (Postman 1985, 163).

Inzwischen haben die Zuschauer im TV-Zeitalter längst Spaß daran gefunden, sich mit Fernsehfiguren zu identifizieren, ihre Wünsche und Hoffnungen auf sie zu projizieren oder mit ihnen in parasoziale Interaktion zu treten. Diese Möglichkeiten erwarten sie natürlich auch von Politikern, die auf dem Fernsehschirm zu sehen sind. Politiker suchen sich demgemäß wie beim Spielfilm-Casting bestimmte Rollen aus, die sie dann im Fernsehen darstellen. Darstellung meint dabei "die Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers an einer bestimmten Situation ..., die dazu dient, die anderen Teilnehmer in irgendeiner Weise zu beeinflussen“ (Goffman 1988, 18). Politiker auf dem Fernsehenschirm suchen sich dabei meist die Rollen großer, charmanter und erfolgreicher Stars aus, denen sich das Publikum leicht anvertrauen kann. Größten Erfolg gewährleistet dabei eine vorhandene Schauspielerfahrung, das lehrt das Beispiel Ronald Reagans, der perfekt wie ein Automat vor den Fernsehkameras agierte. Die Welt der Politik und die des Schauspielers vermengen sich seitdem endgültig zu einer kaum noch differenzierbaren Gemengelage, beide scheinen von gleichen Interessen und Notwendigkeiten durchdrungen zu sein.

Allerdings sind Politiker eben keine reinen Rollenspieler; sie sind keine fremden Figuren, sondern verkörpern auch in einer Rolle vor allem sich selbst. Schauspieler gehen ganz in ihrer Rolle auf. Politiker dagegen bleiben auch in einer Rolle sie selbst; sie sind Selbstdarsteller, Selbstinszenierer (ich verwende die beiden Ausdrücke im folgenden synonym). Sie sind höchstens mit dem Star-Schauspieler vergleichbar, der seine Identität in eine Rolle mit hineinlegt. Sie haben die Identität eines Stars, wegen dem man ins Kino geht und nicht wegen des Filmes, in dem er mitspielt. Schwartzenberg hat die Ähnlichkeiten zwischen Stars und Spitzenpolitikern auf den Punkt gebracht: "Die Stars der Politik und der Leinwand haben eine fast gleichartige Lebensweise und die gleiche Abhängigkeit vom Publikum, stets repräsentierend, um ihr Image besorgt und zuweilen von exhibitionistischen Tendenzen getragen“ (1980, 159). Aber auch wenn Politiker schauspielern, so spielen sie doch letztlich sich selbst. Selbstdarstellung hat dabei immer eine intentionale Komponente: Politiker wollen die Beziehung zum Publikum in einer für sie positiven Weise beeinflussen und mit Hilfe der vorgespielten Bilder eine Verhaltensänderung oder ein Handeln -- etwa die Unterstützung bei der nächsten Wahl -- der Rezipienten erreichen. Selbstdarstellung will also die Wahrnehmungen der selbstinszenierten Bilder und Rollen bei den anvisierten Personen in emotionaler sowie in kognitiver Hinsicht steuern und unter Kontrolle halten.

Die Wahrnehmungen eines Publikums beziehen sich dabei auf eine Vielfalt von Einzelheiten: Von Verhalten und Haltung, die Gestik, Mimik, Sprechweise, Selbstbeherrschung, kommunikative Fähigkeiten etc. miteinschließen, über das Aussehen (Alter, Figur, Größe, Gesichtsmerkmale) bis hin zu Umweltmerkmalen, wie etwa Kleidung, Besitz oder Herkunft, fließen zahlreiche Charakteristika in die Wahrnehmung von Personenbildern mit ein. Die Gesamtheit aller öffentlich vermittelten Selbstbilder gilt dann als das Image einer Person. (vgl. a. Schütz 1992, 20-29/37). Ihr kann dabei eine authentische und aufrichtige Darstellung der eigenen Person zugrunde liegen, bei der die mitgeteilten Gefühle und Bilder der "wirklichen“ Person entsprechen. Die projizierten Selbstbilder können aber auch bewußt vorgetäuscht und manipulierend sein. Letztlich kommt es vor allem auf die Wirkung an, weniger auf das Sein. Ein Mensch, der nur noch sich selbst darstellt, der immer nur Rollen spielt, entwickelt aber ein einseitiges Verhältnis zu seiner Umwelt, er wird zum Narzißten. Denn er fragt nicht mehr, welche Interessen er eigentlich hat und welche berechtigten Forderungen seine Umwelt an ihn stellt, sondern er ist nur noch auf der Suche nach dem, was am besten wirkt (vgl. Kleinspehn 1989, 191).

Dabei ist Selbstdarstellung an sich eigentlich wertneutral zu betrachten. Sie muß nicht von vornherein täuschende Elemente beinhalten. Problematisch wird es aber, "wenn Selbstdarstellung mehr wird als das Medium zur Vermittlung von Inhalten, wenn sie zum eigentlichen Inhalt“ von Politik wird (Schütz 1992, 265). Mit der fortlaufend sich steigernden Personalisierung im Fernsehen wird sie das aber, längst ist die Alternative "Image oder Inhalte“ zugunsten des ersteren entschieden. Den Medien sowie den Politikern kommt das durchaus gelegen: Die Journalisten müssen sich nicht mehr mit komplizierten Sachkonflikten und vertrackten politischen Entscheidungsfindungen herumschlagen. Im Fernsehen wirken Sachdebatten sowieso lange nicht so spannend wie eine Personality-Politik-Show. "Charismatische Führer sind fernsehgerechter als Botschaften. Personen sind fernsehgerechter als Bewegungen. Symbole sind fernsehgerechter als Philosophien“ (Mander 1979, 274f). Und die Parteien sind froh, daß sie ihr Programm auf eine Person, den Spitzenkandidaten als Politstar, verkürzen können, der alle wesentlichen politischen Fragen durch sein Persönlichkeitsprofil, durch sein Image abdeckt. Die Parteien haben -- größtenteils mit Erleichterung -- erkannt, daß echte politische Argumentation und Auseinandersetzung mit Ideen im Fernsehzeitalter nicht mehr gefragt sind. "Es geht vielmehr darum, Emotionen zu entfachen, Impulse entstehen zu lassen, ein Gefühl des Zutrauens zu erzeugen, indem man sich mehr an den -- so leicht zu mißbrauchenden -- Instinkt als an die Vernunft , mehr an die Sinne als an das Bewußtsein wendet“ (Schwartzenberg 1980, 203).

In einer Zeit der Diktatur der Intimität scheint es nur allzu verständlich, wenn endlich auch Politiker so richtig menscheln dürfen. Sie können sich zeigen wie ein normaler Mensch, wie du und ich, wie sie die Hirsche am Wolfgangssee füttern, in die Pedale treten oder im Kreise der Familie frühstücken. Selbst das Nutellaglas auf dem Küchentisch gelangt dabei zu höchsten Ehren, bietet es doch Identifikationsmöglichkeiten für zahlreiche andere Familien. Der Imagefaktor Glaubwürdigkeit wird dadurch gestärkt; und daß Politiker eigentlich Gesetze entwerfen oder ausführen sollen, wird dagegen zweitrangig. "Das übermäßige Interesse an Personen wirkt wie ein Filter, der unser rationales Gesellschaftsverständnis verfärbt“ (Sennet 1983, 16). Was jemand sagt, wird unwichtig, viel wichtiger wird dagegen, wer es sagt und wie er es sagt. Politik wird zur "Persönlichkeitspolitik“ (ebd. 269) -- die letzten Wahlen in Deutschland haben es gezeigt: Der Kanzler in der Menge war die Hauptaussage der CDU, selbst der Parteiname konnte angesichts dieser Persönlichkeitsfülle auf den Plakaten wegfallen. Und auch die SPD ließ nur noch den Menschen Scharping auftreten, der sich in unterschiedlichsten Lebenswelten entfalten durfte. In Italien hatte Berlusconi wenige Monate zuvor ganz darauf verzichtet, wirkliche inhaltliche Ziele abzustecken, und sich lieber gleich selbst als Identifikationspunkt in den Mittelpunkt gestellt.

Zwei letzte Folgen dieser Entwicklung möchte ich noch aufzeigen. Es ist nämlich nicht nur so, daß sich Politik, die sich nur noch mit Personen und nicht mehr mit Programmen darstellt, letztlich selbst entpolitisiert. Sondern diese Persönlichkeitspolitik führt zum einen durch die Art und Weise, wie sich Spitzenpolitiker als Befreier von allen Übeln und omnipotente Heilsbringer inszenieren, zu umso größeren Enttäuschungen der Menschen im Alltagsleben. Wenn jede sachpolitische Profilierung vollkommen unterbleibt und unpolitische Politiker die Szene beherrschen, wird das mit allen Techniken der Imagepflege aufgebaute Heldenpathos den Blick auf die Probleme des Alltagsleben verstellen. Entfremdung der Bürger von der politischen Welt ist die Konsequenz. Zum anderen öffnet die Reduzierung der Politik auf eine Personality-Show auch ursprünglich völlig Politikfremden, Menschen, die eigentlich nicht die geringste Ahnung von Politik haben, einen erleichterten Zugang zur politischen Macht. Sie können allein durch eine Selbstinszenierungs-Show auf den Bildschirmen zu Parteiführern mit realer politischer Handlungsfunktion werden. Perot, Schirinowski und Berlusconi haben das gezeigt.

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