Resümee: Transformationen des Politischen

Politik hat schon immer auf Symbole zurückgegriffen, um die Wirklichkeit zu strukturieren und politische Realität zu veranschaulichen. Ritualisierte Sprechweisen, Metaphern, Mythen und Schlagwörter waren bereits lange vor der Zeit unserer heutigen Berufspolitiker Mittel in der Hand der Herrschenden, mit denen sie ihre Untergebenen zur Gefolgschaft aufriefen. Allerdings hat sich der Einsatz von Symbolik mit dem Aufkommen der Massenmedien und vor allem seit der massenhaften Verbreitung des Bildmediums Fersehen stark vermehrt. Denn seitdem können Politiker nicht nur ideologische Sprachtäuschungen produzieren, sondern auch einen rein auf Bilder gestützten symbolischen Handlungsschein erzeugen, der eine große Zuschauermenge zuhause vor dem Fernsehsessel, also eingebettet in die Alltagswelt, erreicht. Sie können sich selbst als Personen mit ihrem Privatleben in den Mittelpunkt stellen, verpackt nach den Regeln des Polit-Marketings, das ihnen hilft, Kompetenz zu fingieren oder Souveränität und Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Die Transformierung der Politik (vgl. a. Meyer 1994) in ein Medium der Massenmedien und des Marketing ist in vollem Gange.

Mit diesen Transformationsprozessen beschäftigt, vergessen Politiker allzuoft Politik zu machen. Die Entpolitisierung des politischen Bereiches ist so weit fortgeschritten, daß zukunftsweisende Entscheidungen hinter den aktuellen Problemen und Bedürfnissen sowie hinter einem Berg von Symbolismen völlig verschwinden. Politik wird zum "Problemlösungssurrogat“, das von den Medien unters Volk gebracht wird. Denn die vielfach vorarrangierte und inszenierte Medienwirklichkeit erlaubt "den als Medienpublikum verstandenen Bürgern die alltägliche symbolische Teilhabe am politischen Prozeß oder besser an einem medieninszenierten Ausschnitt desselben“ (Sarcinelli 1987, 242f). Der Kreislauf der Symbole erstreckt sich so von den symbolisch agierenden Politikern über die Symbolismen der Medien hin zum symbolisch partizipierenden Publikum. "Symbolische Politik ist eine kriegswissenschaftlich erdachte Strategie der Kommunikation gegen die Adressaten. Sie höhlt die politische Kultur von innen aus“ (Meyer 1992, 190).

Allerdings sind die Wähler und Regierten nicht vollkommen hilflos den Inszenierungen der Politiker ausgeliefert. Was für die Wirklichkeit insgesamt gilt, ist auch für die politische Realität von Bedeutung: Gegenüber aller Symbolik ist der Mensch gefeit, wenn er sich auf die Erfahrung der Alltagswelt beruft. Denn dann kann er die leeren Versprechungen von Politikern als vollkommen irreal erkennen. Und er kann sehen, wie Politik sich eben gerade von der eigenen normalen Welt abzusetzen und durch Inszenierung zu blenden versucht. "Die Tünche, die der inszenierte Schein über die Korruption der politischen Kultur in der Demokratie legt ... ist dünn“ (ebd.). Auch wenn die Zuschauer in zahlreiche ideologische und augenscheinliche Schleier eingehüllt werden, bleibt doch der Blick auf die Alltagsrealität nicht vollkommen versperrt. Vor allem wenn gesellschaftliche Krisen sich durch den Orientierungsschein der Politiker nicht wegzaubern lassen und es an die materielle Existenz der Bürger geht, zerreißt die Alltagswelt alle Trugbilder.

Bis es allerdings soweit ist, bleibt den Politikern oft freie Hand in ihrer Machterweiterung. Und da sie mit den Medien immer in irgendeiner Weise zusammenspielen, dauert es oft lange, bis der Schein tatsächlich durchsichtig wird. "Symbolische Politik ist eine Hinterlist ... Da sie einen Schein produziert, der mit der Macht des Selbst-Gesehenen schon die Sinne blendet, und nicht erst den Verstand verführt, der flüchtig amüsiert, statt hartnäckig zu plädieren, ist sie in den Mediengesellschaften der Gegenwart eine Macht sondergleichen“ (ebd., 191).

Und wer diese Macht in seinen Besitz bringt, der kann es in der Politik weit bringen. Im nächsten Teil werden wir sehen, wie gerade Silvio Berlusconi sich die hier beschriebenen Transformationen des Politischen zunutze macht und wie er die Transformierung selbst weiter vorantreibt. Berlusconi wird sich als meisterhafter Beherrscher der symbolischen Politik erweisen, der vor allem das Polit-Marketing in revolutionärer Weise einsetzt. Allerdings wird auch ihn am Ende des Stücks die Alltagswirklichkeit einholen …

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