Vermittelte Wirklichkeit

Traumwirklichkeit der Werbung

Die Werbung regiert die Medien. Nicht nur, weil sie bestimmt, welche Zeitung oder welcher Fernsehsender dank ihres Geldes überlebt. Nicht nur, weil sie die hauptsächliche Strategie der neuen Medien -- den Einsatz von Bildern -- viel besser und ästhetischer beherrscht. Sondern auch, da sie die vornehmlichste Aufgabe der Massenmedien, die Verbreitung allgemeiner Information, den Journalisten entzogen und selbst übernommen hat. ?Die Werbung strukturiert und formiert den Medienmarkt nach ihren Bedürfnissen. Sie schafft ein Magnetfeld, in dem die Kommunikation auf charakteristische Weise gekrümmt wird, und kein Medium ist so mächtig, daß es diese Krümmung ganz und gar verweigern könnte“ (Die Zeit vom 10.2.1995).

Werbung ist aber nicht nur Macht. Sie ist auch zum kulturellen Objekt geworden, das Lifestyle vermittelt. Und sie fabriziert Träume -- Erlebniswelten -, die befriedigt werden müssen. Denn nebenbei versucht sie ja noch, den Verbraucher zum Konsum, zum Kauf von Produkten anzuregen, wobei unter ihre ?Produktpalette“ heute allerdings so ziemlich alles fällt -- natürlich und immer mehr auch Politiker. Dabei geht die Werbung in ihrer Überredungskunst sehr sorgfältig vor und umgibt den Konsumenten mit viel Wärme und Zuneigung: sie fungiert als ?mütterliche Instanz“ (Baudrillard 1991b, 207) und Liebhaber zugleich, appelliert nicht nur an den Wunsch nach einem emotionalen Partner, sondern nutzt auch erotische sowie sexuelle Reize. Wie der Ritter um das Hoffräulein, wirbt die Werbung um den Kunden. Gleichzeitig knüpft das Werbespiel ?geschickt an ein uraltes Ritual von Geben und Schenken an, ebenso an die Beziehungen der Kindheit: an das Beschenktwerden durch die Eltern“ (ebd., 212). In beiden Fällen überlagert die Werbung das ursprünglich rein kommerzielle Verhältnis zwischen Produkt und Konsument durch ein persönliches. Sie unterwirft den Menschen geschickt ?dem sanften Zwang stetigen Konsumtrainigs“ (Habermas 1971, 229).

Diese Masche hat Erfolg, zumindest für die Werbemacher. 1993 und 1994 machten Unternehmen, Modehäuser, Verlage etc. jeweils rund 50 Milliarden Mark für die Werbung locker, ließ der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft verlauten. Von diesem Kuchen bekommen die Massenmedien den größten Teil ab; sie profitieren daran mit knapp 33 Milliarden. Kein Wunder, daß sie alles tun, um ihr ?Werbeumfeld“ immer attraktiver zu machen und Zielgruppen bis in die Schuhspitzen mit Hilfe der Marktforschung durchleuchten. Der gläserne Verbraucher ist gefragt. Um noch mehr Geld abzuschöpfen, verfielen die Medien sogar auf immer unterwürfigere Methoden, wie etwa den ?Reklamejournalismus“ (Der Spiegel Nr. 52/1992, 125), der als ?Zeitgeistblätter“ angetretene Produkte wie Max, Prinz und Tempo in reine Werbemagazine ?ummodelte“.

Insgesamt macht sich die Werbung in der Gesellschaft immer breiter. Ihr größter Erfolg ist sicherlich der soziale Wandel hin zur Erlebnisgesellschaft. Spaß, Spannung, Nervenkitzel sind die Voraussetzungen, daß Menschen heute überhaupt irgendwo in Aktion treten. Am besten, man stürzt sich gleich in die Tiefe -- mit einem Seil gesichert natürlich -- oder geht auf "Adventure-tour" mit "seiner“ Zigarettenmarke. Zudem prägt Werbung nicht nur Weltanschauungen, sondern auch das ästhetische Empfinden, wobei sie sich am liebsten des Mediums Fernsehen mit seinen zahlreichen technischen Darstellungsmöglichkeiten bedient. Ist doch ein Fernsehspot nichts anderes, als eine geschickte Verbindung von Wort-, Bild-, Schrift- und Musikzeichen in äußerst komprimierter Form. ?Der Spot redet gleichzeitig in allen möglichen Redeformen; er ist ein Tummelplatz von Kodierungen.“ Woraus ein besonderes Erlebnis für den Zuschauer erwächst, die "Sympraxis“, die ihn -- möglichst faszinierend -- durch ihre mehrfache Zeichensteuerung in das Geschehen hineinversetzen soll (Kloepfer/Landbeck 1991, 90/95). Passivität des auf dem Sofa sitzenden Publikums ist die Folge, denn so auf den Punkt gebracht ist das Leben der Alltagswelt naturgemäß nicht. Zuschauen wird spannender als Handeln.

Die hochkonzentrierte Form des Zeichengehalts im Werbespot hat noch weitreichendere Auswirkungen: Der Spot verwandelt die Informationsvermittlung. Denn obwohl er auf den normalen Zeichensystemen aufbaut, sich wie ein Parasit in die Formen und Plätze der elektronischen Medien einschleicht, entwickelt er doch in seiner Verknappung, Verschmelzung, seiner ständigen Wiederholung eine besondere Sprengkraft: ?Der qualitative Wandel besteht darin, daß Spots nicht einfach Nachrichten nachmachen, sondern vormachen, wie man Informationen am ökonomischsten weil intensivsten herüberbringt“ (ebd., 229). Ein Vorbild, dem sich kaum ein Journalist entziehen kann, da sich das Publikum längst an die knappe Konzentratform gewöhnt hat und bei einer langweiligeren, weil differenzierten, Darstellungsform einfach abschaltet. Die Folge ist eine "Inflation der ästhetischen Mittel, … die Gewöhnung an den Instant-Genuß“ und eine fortschreitende Gleichgültigkeit gegenüber der Alltagswirklichkeit (ebd., 237).

Am besten hat dies die Werbung selbst erkannt und muß so immer noch eins draufsetzen, um weiterhin Furore zu machen. Ein Italiener zeigte sich dabei wieder mal als Trendsetter in der Weiterentwicklung des Kommerzes und spannte kurzerhand Bilder des Schreckens für die Ankurbelung des Pulloververkaufs ein. Die Spirale dreht sich weiter. Der Marketing-Chef von Philip Morris hat es erkannt: ?In dieser Fast-food-Kommunikation werden Inhalte zu visuellen Häppchen -- hängen bleibt nur das, was mit einem Minimum an geistiger Eigenarbeit verdaut wird“ (zitiert nach Der Spiegel Nr. 52/1992, 126).

Werbung ist mehr als ein reines ?Kaufkraftfestival“ (Baudrillard 1991b, 212) -- "Reklame ist ein Geisteszustand“ (Der Spiegel Nr. 52/1992, 128); sie erfüllt unsere Köpfe mit hübschen Bildern, witzigen Einfällen, mit ein bißchen Esprit oder Benetton und mit ein wenig Come together. Und selbst wenn der Gesetzgeber tatsächlich mal versucht, in diesen Prozeß einzugreifen, und eine Begrenzung von Werbezeiten und -räumen durchsetzt, so greift die Werbung dank ihrer Kreativität eben zu neuen Mitteln. Focus präsentiert dann Aspekte, whiskas ja eh schon das Wetter. Sponsoring, Product Placement und Promotion verwischen die Grenzen zwischen Anzeigen, Spots und redaktionellem Programmteil in den Medien.

Wie unsere Eltern, die Schule, die Medien etc. beeinflußt die Werbung unser soziokulturelles Umfeld und wird zu einem Teil der Öffentlichkeit.

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