Die Computerindustrie entlang der Westküste der Vereinigten Staaten
ist immer für Gerüchte, Mauscheleien und bühnenreife Dramen
gut. Als Produzent der führenden Zukunftstechnologie schlechthin stellt
sie einen heißumkämpften Markt dar, liefert sie einen Schauplatz,
auf dem täglich Schweiß, Blut und Tränen in rauhen Mengen
fließen. Lebensechter noch als im nahen Hollywood werden von Silicon
Valley bis hoch zum Lake Washington täglich Allianzen neu geknüpft
und genauso schnell wieder verraten, werden Intrigen ausgeheckt, gegen
die J.R. Ewing wie ein Schauspielschüler aussieht. Geht es doch um
ganz reale Milliardenumsätze mit dem virtuellen Business, um lukrative
Firmenbeteiligungen, ja letztlich um das Heil der Menschheit, das die beteiligten
Unternehmen seit langem den Kunden durch ihre Produkte aus Sand, Plastik
und Elektroleitern sowie der dazugehörigen Software programmatisch
versprechen. Doch das hehre Drama um den schnellsten Computer und die schönste
Oberfläche droht nun zur Farce zu werden: die zu Hauptkonkurrenten
im Kampf um Digitalien stilisierten Computerunternehmen, der böse
Riese Microsoft und der liebenswürdige Zwerg mit dem bunten, aber
bissigen Apfel, scheinen ihr Kriegsbeil endgültig weggepackt zu haben.
Das Spiel ist aus aber sage nur noch einer, daß der Bessere
immer gewinne.
Es passierte auf der Bostoner MacWorld: Ganz nebenbei erklärte
der von vielen Mac-Anhängern als Heilsbringer begrüßte
David mit bürgerlichem Namen Steve Jobs , daß die
(Daten-) Schleuder begraben und ein "Geschenk" in Höhe von
150 Millionen Dollar von Goliath Gates dankend angenommen werde: "Bill,
thank you. The world's a better place" so die ergreifenden Worte des
"Hochverräters". Na und? könnte da so mancher Unbefangene
fragen, denn was sind schon die paar Millionen für einen bald 30 Milliarden
schweren Softwarekönig, der nach den Gesetzen der Ethik eh verpflichtet
sein sollte, seinen Reichtum mit anderen zu teilen. Außerdem: Ist
es nicht logisch, daß eine Firma, die seit Jahren Verlust macht,
einen Manager nach dem anderen verschleißt und kurz vor dem Bankrott
steht, daß ein solches Himmelfahrts-Unternehmen von jedem Spender
eine Unterstützung annimmt? Schließlich geht es ja um eine Firma,
die Computergeschichte geschrieben hat, die schon zu Zeiten, als Bill Gates
noch mit dem Joystick hantierte, bereits ihre Fangemeinde mit der Möglichkeit
erfreute, wertlose Daten in einer echt amerikanischen "Mülltonne"
entsorgen zu können. Warum sollte eine Firma mit einem derart kreativen
Potential also nicht alles, aber auch wirklich alles tun, um weiter zu
existieren?
Jeder würde diese Frage in jedem anderen Fall als eine rein rhetorische
betrachten. Doch es geht hier nicht um T-Shirts oder Sweaters, sondern
um Äpfel und DOSen, um einen Glaubenskrieg zwischen zwei Systemen,
der den Kalten Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus zumindest
in den Augen der Streiter bei weitem und seit jeher an Heftigkeit
und Prinzipientreue übertroffen hat. Der Kampf wurde nicht nur von
den Unternehmen selbst, sondern auch von den Anwendern ausgetragen. Es
war ein Kampf auf Leben und Tod, eine Schlacht zwischen verwöhnten
Ästhetikliebhabern auf der einen, und pragmatisch ausgerichteten Masochisten
auf der anderen Seite. Es war ein Kreuzzug zwischen sinnlichen plug-and-play-Katholiken
und schicksalsgebeutelten do-it-yourself-Protestanten, wie Umberto Eco
noch zu DOS-Zeiten philosophiert hatte. Denn auch nach der im wahrsten
Sinne des Wortes "oberflächlichen" Angleichung der Bildschirmfenster
auf MACs und PCs durch Windows 95 können viele Mackies über die
Konfigurationsprobleme der bedauernswerten, aber ständig wachsenden
PC-Liga nur bescheiden lächeln.
Wie also ist es möglich, daß die beiden Erzrivalen Apple
und Microsoft nun plötzlich eitel Freundschaft demonstrieren und eine
firmenpolitische Wende um 180 Grad vollziehen? Wie kann Steve Jobs einfach
die insgesamt immer noch recht treuen Anhänger der Computer mit dem
lächelnden Betriebssystem durch die Aussage brüskieren, Apple
könne nicht nur dann gewinnen, wenn Microsoft verliere? Will er tatsächlich
mit dem Teufel selbst einen Pakt abschließen? Und warum kommt ein
kalter Krieger, der seit über einem Jahrzehnt mit geballter Marketingmacht
seine Softwarestandards gegen die allgemeine qualitätsreicheren Produkte
der kalifornischen Konkurrenz einsetzt, plötzlich auf die Idee, dem
langjährigen Rivalen nun "freundschaftlich" unter die Arme
zu greifen? Immerhin eine Wandlung mit wahrhaft biblischem Charakter, die
der Bekehrung des Saulus zum Paulus auf der einen Seite und dem schon damals
mit dem Apfel zusammenhängenden Sündenfall im Garten Eden auf
der anderen Seite in nichts nachsteht.
An Erklärungen mangelt es nicht: Das Drama habe sich einfach überlebt,
könnte man argumentieren, die Akteure der Computerindustrie hätten
sich längst kurzweiligeren Szenen zugewandt. Der Drehbuchautor sei
betrunken gewesen und habe jegliche Realitätsnähe vermissen lassen,
ist eine andere Deutungsalternative. Es könnte aber auch möglich
gewesen sein, daß Bill Gates sich eines Abends gelangweilt auf dem
Sofa seiner 60-Millionen-Dollar-Villa geräkelt und der digitale Butler
ihm daraufhin eine Ausgabe der Inter@ctive Week anempfohlen hatte. Darin
entdeckte der Konzernchef die bei ihm sofort zündende Idee des "Wunderbaren
Ratgebers" Al Perelman, daß das Unternehmen, das den Erhalt
von Apple am besten gewährleisten könne, ganz eindeutig eben
Microsoft und niemand sonst sei. Daraufhin wird Gates über die amerikanische
Variante von T-Online die Firmenkonten befragt und eine schnelle Entscheidung
getroffen haben...
Natürlich könnten wir auch Zeugen der ersten Auswirkungen
des sich im Internet angeblich ausbildenden Teamgeistes geworden sein.
Bill hat eben endlich eingesehen, daß sich gegen die Culture of
Giving, gegen die Ökonomie des Geschenks nichts ausrichten läßt,
daß man sich einfach an ihr beteiligen muß. Allerorten hören
wir ja auch, daß im Internet selbst die größten Konkurrenten
ihre vormaligen Fehden ruhen lassen und lieber miteinander kooperieren.
Schon bei der ersten großen Welle der Begeisterung für das Netzwesen
hatten sich ja anfangs der 90er Politiker und Unternehmer sowie Hippies
und Technos rund um den Globus in einer geradezu anti-postmodernen Aufhebung
aller Differenzen vereint, um die demokratischen und wirtschaftlichen Segnungen
des Internet zu feiern. Und tatsächlich scheint dieser oftmals als
reiner Hype verschrieene Spirit nun also langsam auch auf den höchsten
Unternehmensebenen Früchte zu tragen. Denn könnte man den Deal
nicht einfach als "Win-Win-Situation" verstehen, als eine Vereinbarung,
die aus Konkurrenten mit Blick auf das eigentliche Ziel Partner werden
läßt und an der alle etwas verdienen?
Anhänger von Verschwörungstheorien und bösartige Essayisten
könnten die Freigebigkeit des Redmonder Fürsten allerdings auch
als weiteren taktischen Schachzug im Spiel um die Weltherrschaft deuten.
Es sei Gates noch nie um eine für alle zufriedenstellende Lösung
gegangen, meint etwa der Chef von RealAudio, Rob Glaser, der früher
im mittleren Management von Microsoft tätig war: Gates suche allein
nach Wegen, andere zu Verlierern zu machen; Erfolg definiere sich für
ihn nicht durch herausragende Leistungen, sondern durch das gewaltsame
Abflachen der Konkurrenz. Und die Finanzzeitschrift Fortune titelte bereits
Ende Mai über Bill Gates: "Er will Euer gesamtes Geschäft
und er ist auf dem besten Weg dazu." Tatsächlich scheint
sich Microsoft nach dem anfänglichen Verschlafen des Internetbooms
nun um so brachialer in die gesamte Branche einkaufen zu wollen: Da sind
die "Kooperationen" mit Fernsehsendern wie NBC oder auch dem
ZDF, mit denen Gates in Amerika bereits Nachrichten über Internet
und Kabelfernsehen anbietet bzw. in Deutschland Ähnliches plant. Da
ist die 425 Millionen Dollar teure Übernahme von WebTV, einer Firma,
die mit Hilfe von Decodern das Internet auf den Fernsehschirm zaubern möchte.
Und da ist der Einstieg mit rund einer Milliarde Dollar bei der viertgrößten
US-Kabelfernsehgesellschaft Comcast Corp., die im Mobilfunkgeschäft
sowie im Tele-Shopping-Bereich stark ist. Gleichzeitig leistet sich der
visionäre Marktstratege mit Slate noch ein eigenes politisches Magazin
im World Wide Web, kauft die elektronischen Bildrechte an großen
internationalen Kunstsammlungen nach und nach für seine Firma Corbis
auf und bereitet den "Krieg der Sterne" mit seiner Satellitenflotte
des Teledesic-Projektes vor.
Und nun also Apple. Und das zu einer Zeit, in der eh kaum noch einer
einen Pfennig auf die einstige Kreativschmiede gegeben hätte. Die
Frage drängt sich also auf, ob es Gates wirklich um Apple geht oder
um was sonst. Im Hinterkopf wird er sicherlich die sich schon lange hinziehenden
Anti-Monopol-Untersuchungen des amerikanischen Justizministeriums gehabt
haben. Denn noch gilt Apple eben in den Augen der Allgemeinheit als echter
Konkurrent für Microsoft. Der Untergang Apples würde daher bei
einigen Beamten die Anti-Trust-Falten anschwellen lassen und eventuell
zu härteren Schritten gegen das "Softwaremonopol" von Microsoft
führen. Doch eigentlich hat sich der Schauplatz im Kampf um die Standards
längst von den lahmen PCs auf das lukrative Servergeschäft verlagert.
Microsoft möchte in diesem Bereich sein Windows NT und die darauf
basierenden BackOffice- Softwarepackungen mit Datenbanklösungen, Groupware-Anwendungen
und Managementwerkzeugen gegen das noch immer weit verbreitete Unix und
gegen sonstige denkbare Konkurrenz auf der Ebene der Betriebssysteme für
Server und dazu könnte bzw. hätte auch das bei Apple in
der Entwicklung stehende neue "Rhapsody" gehören können
setzen. Denn von diesem Sektor wird die unternehmensbezogene Internetnutzung
in den nächsten Jahren vor allem leben, auf diesem Markt werden in
Zukunft die Gewinne gemacht: dem Marktforschungsinstitut IDC zufolge soll
sich beispielsweise allein der Bereich für Windows-NT basierte Server
von 3,8 Milliarden Dollar 1996 später mal auf über 53,6 Milliarden
belaufen.
Damit wären die zukünftigen Konkurrenten Microsofts weniger
Apple als vielmehr IBM bzw. Lotus, Novell, Oracle und natürlich Sun,
dessen Chef Scott McNealy das Modell des Network-Computers bevorzugt, das
eigentlich kaum mehr ein Betriebssystem, sondern nur noch Java-Applikationen
benötigt. Überhaupt scheint sich McNealy immer stärker als
neuer Hauptkontrahent zu Gates zu profilieren: Es könne nicht angehen,
daß Microsoft erneut mit seinem NT die Computerlandschaft überschwemmen
werde, kritisierte er unlängst in einem Interview. Das alles sei nur
eine gehörige Selbstüberschätzung des Softwarekönigs
der vergangenen Tage. Denn seit dem Aufkommen des Internet gebe es keine
Welt mehr, in der ein Programm allen Wünsche nachkommen könne.
In diesem Zusammenhang wirkt der Apple-Deal nur wie ein verspätetes
Geplänkel auf einem Nebenschauplatz. Die Show wird woanders weitergehen,
mit neuer Besetzung und ausgereifteren Effekten. Und welche Rolle Apple
in der Fortsetzung des Stücks und im Kampf um Digitalien noch spielen
wird, ist weiterhin unklar. Mit der Berufung des Oracle-Chef Larry Ellison
in den Verwaltungsrat von Apple scheint zumindest auch in dieses Spiel
ein neuer Joker eingeschmuggelt worden zu sein, gilt Ellison doch als ausgesprochener
Intimfeind von Bill Gates. Doch insgesamt wird man keine größeren
Veränderungen im Drama um die Königskrone der Computerwelt erwarten
dürfen. Einer wird gewinnen, im Fernsehen wie an der Westküste.