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Where do you want to go tomorrow, Microsoft?

Von Stefan Krempl.

Der Weg nach vorn ist für Microsoft momentan der Gang nach Washington. Doch von Canossa will Bill Gates nichts wissen. Sein Ziel: der Menschheit den "Web-Lifestyle" schmackhaft zu machen ­ koste es, was es wolle. In: Global Online 2/98

Microsoft hat das Mißfallen des amerikanischen Justizministeriums auf sich gezogen und sich auf einen harten Kampf gegen die Regierung und in der Folge gegen Amerika und die ganze Welt eingelassen. Bill Gates und seine Mannen in Redmond fühlen sich zumindest eingekreist von dunklen Mächten, die sie an der Verwirklichung ihres einzigen Zieles hindern wollen, "großartige Software zu fertigen." Dabei habe man der Menschheit bisher doch nur Gutes gebracht: den PC zum Beispiel habe man benutzerfreundlicher und erschwinglicher gemacht, genauso wie das Internet, gibt Gates zu Bedenken. Und was sonst sei "das am stärksten den Wettbewerb ankurbelnde Ereignis" gewesen, das sich "jemals in der Wirtschaftsgeschichte ereignet hat?" Unterstützung erhält er von seinem treuen Vizechef, Steve Ballmer: "Wir treiben Innovationen voran, schaffen Mehrwehrt, senken Preise, lassen uns auf den Wettbewerb ein, dienen unseren Kunden - und wir machen das alles gut. Man könnte auch sagen, daß das der amerikanische Weg ist."

Zumindest war es der Weg zum Profit: Seit der Gründung 1975 hat Microsoft durch einen für viele geradezu unheimlichen Erfolg an der Börse ­ die Firma bringt mit einem Marktwert von 162 Milliarden Dollar fast doppelt soviel "Finanzgewicht" auf die Waage wie AT&T oder General Motors ­ zahlreiche Mitarbeiter zu Millionären gemacht. Und der Firmenchef selbst hat sich vom Harvard-Aussteiger zum reichsten Mann der Welt mit einem Vermögen von rund 40 Milliarden Dollar emporgearbeitet. Auch die Geschäfte im laufenden Finanzjahr, das noch bis Juni geht, laufen (noch) bestens: Marktbeobachter erwarten Umsätze von 14 Milliarden Dollar und einen Gewinn in Höhe von 4 Milliarden Dollar. Doch trotz ­ oder gerade wegen ­ dieser unvergleichlichen Erfolgsgeschichte steht Microsoft nun am Pranger und ist zur Zielscheibe zahlreicher Kritiker geworden, die dem Unternehmen unfaire Geschäftsmethoden, feindschaftliches Wettbewerbsverhalten oder einfach schlechten Stil und das Ausnutzen einer Monopolstellung vorwerfen.

Hunderte Haß-Seiten werden bereits seit längerem im Web mit viel Sorgfalt gepflegt, wo sich der von Microsoft Enttäuschte schreckliche Gatesfratzen sowie wildeste Gerüchte und Verschwörungstheorien auf seinen Bildschirm laden kann. Und Ralph Nader, ein streitbarer amerikanischer Verbraucheranwalt, hatte im Herbst vergangenen Jahres extra zu einer Konferenz nach Washington eingeladen, um einen "Dialog" mit dem Unternehmen zu beginnen. "Stoppt Microsoft!" war allerdings der Slogan, der sich unüberhörbar durch alle Vorträge der gut besuchten und mit Scott McNealy, dem Intimfeind Gates' von Sun Microsystems, auch gut besetzten Veranstaltung zog.

Bei all dem Tumult konnte auch die US-Regierung die Marktmacht Microsofts nicht mehr länger übersehen. Schon lange hatten die Monopolwächter in Washington ein Auge auf das wachsende Reich Bill Gates' geworfen ­ doch der richtige Anlaß zum Einschreiten hatte bisher gefehlt. Die Antitrust-Abteilung des Justizministerium hatte zwar vor einigen Jahren Microsoft "überreden" können, vom Kauf von Intuit abzusehen, der Softwarefirma, die das weitverbreite Finanzprogramm Quicken herstellt. Doch ansonsten ließ man die Redmonder gewähren und schaute ruhig zu, wie Microsoft seine Betriebssystem-Software zum de facto-Standard erhob und so heute mit Windows rund 90 Prozent des Desktop-Marktes beherrscht. 1995 einigte sich das Justizministerium allerdings in einer außergerichtlichen Übereinkunft mit Microsoft, daß die Firma keine zusätzlichen Programme zusammen mit dem Betriebssystem vermarkten würde.

Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, daß Microsoft dem Computerhersteller Compaq die Lizenz für Windows entziehen wolle, weil dieser statt des Internet Explorers das Konkurrenzprodukt von Nescape als Standard-Webbrowser auf seine Rechner spielte, sah das Justizministerium die Zeit zum Einschreiten gekommen. Im Oktober 1997 startete Joel Klein, Leiter des Kartellamts, ein Verfahren gegen Microsoft, da die Firma gegen den Vergleich aus dem Jahre 1995 verstoßen habe. Richter Thomas Jackson, Bundesrichter in der amerikanischen Hauptstadt, sah das in einer Anhörung im Dezember ganz ähnlich. In einer einstweiligen Verfügung ordnete er an, daß Microsoft den Explorer aus dem Betriebsystem "entfernen" sollte und den Browser nicht mehr gemeinsam mit Windows vermarkten darf, damit andere Browseranbieter nicht benachteiligt würden.

Keine große Sache, sollte man meinen. Schließlich würden die meisten Computerhersteller auch den separaten Explorer weiterhin ihren Kunden anbieten, da er im Gegensatz zu Netscapes Communicator kostenlos ist. Doch Microsoft sah die Gerichtsentscheidung als Prinzipienfrage an und zeigte dem Richter die kalte Schulter. "Hier geht es eigentlich um das Recht auf Innovation", stellte Steve Ballmer im Namen seines Chefs klar. Und um die Zukunft: Wird doch in einer Zeit des Zusammenwachsens von PC-Interface und Internet ein Navigationsinstrument für das Web immer wichtiger. Hat nicht Netscape bereits angekündigt, mit der nächsten Browsergeneration ein eigenes Betriebssystem überflüssig zu machen? Und was soll aus Windows 98 werden, in das man den Explorer als Herzstück einpflanzen will? Microsoft entschloß sich also, dem Justizministerium ein Lehrstück und eine Einführung in die "New Economy" des digitalen Zeitalters zu erteilen. "Entfernen" könne man den Browser gar nicht, ohne das gesamte Systems zum Absturz zu bringen, lautete daher die Antwort aus Redmond. Denn, so Microsofts Chief Operating Officer Bob Herold, "wenn Windows 95 ein Topf Spaghetti ist, dann sind die Internetmöglichkeiten die Tomatensauce ­ und wir haben das alles bereits kräftig durchgemischt." Um die Aussage zu unterstützen, haben Kunden seitdem die Auswahl zwischen einer frühen Version von Windows 95 ohne Browser, einer aktuellen "Crashversion" ebenfalls "ohne" und der bisherigen Standardsoftware mit Explorer.

Nachdem Microsoft damit dem Gericht sowie dem Justizministerium den Mittelfinger ­ so die Einschätzung eines Kolumnisten der San Jose Mercury News ­ entgegengestreckt hatte, ging auch die Gegenseite zu einer härteren Gangart über. Richter Jackson führte öffentlich vor, wie man den Explorer innerhalb weniger Sekunden von der Desktopoberfläche verschwinden lassen kann; und das Justizministerium drohte Microsoft eine Versäumnisklage in Höhe von einer Million Dollar an, solange die Gerichtsanordnung nicht erfüllt sei. Microsoft wehrte sich in bekannter Hardliner-Manier und gab zu bedenken, daß mit dem Browser-Icon noch lange nicht das Programm beseitigt sei, das beispielsweise von anderen Applikationen nach wie vor gestartet werden könne.

Der Streit um die wenigen Zeilen Programmcode ist mit dem ständigen Hick-Hack zwischen den gegnerischen Lagern längst zur Farce geworden und wird sich noch Monate lang hinziehen, da das Gericht mit dem Harvarder Rechtsprofessor Lawrence Lessig einen "Special Master" zur Beratung hinzugezogen hat und keine der beiden Seiten ein Einlenken signalisiert hat. Selbst Microsoft-Anhänger raten Bill Gates allerdings derweil, den "Kampf gegen Amerika" aufzugeben und sich lieber auf die Entwicklung zukünftiger Softwareanwendungen zu konzentrieren. "Bill, die Vereinigten Staaten sind kein Unternehmen, sie sind ein Land und haben damit alle Machtbefugnisse, die mit diesem Status verbunden sind", klärte etwa Stewart Alsop seinen "Freund" in einem offenen Brief im Wirtschaftsblatt Fortune auf ­ in Anspielung an die Meinung vieler Prozeßbeobachter, daß Microsofts Chefetage das Justizministerium genauso wie einen feindlichen Wettbewerber aus dem Unternehmensfeld behandelt. Und das Magazin Businessweek, das beim Start der Kartelluntersuchungen noch die Regierung dazu aufgerufen hatte, "Microsoft in Ruhe zu lassen", schreibt plötzlich seitenlange Berichte über den "Räuberbaron" Gates und sein sich ständig ausdehnendes Reich.

So hat sich der Fall längst ausgeweitet zu einer Diskussion um die Frage, ob eine Marktregulierung in der digitalen Ökonomie überhaupt noch sinnvoll ist. Bill Gates selbst beschreibt das Internet in seinem Buch "Der Weg nach vorn" als einen Marktplatz, auf dem jeder Klick eine Transaktion oder einen Kaufvorgang auslösen kann. Der "reibungslose Kapitalismus" soll damit anbrechen, eine Zeit, in der "Firmen selbst bestimmen, welche Produkte sie herstellen und welche Funktionen sie in diese Produkte einbauen, ohne daß sie dabei von der Regierung bevormundet werden." Doch Wirtschaftsexperten setzen dagegen, daß Antimonopol-Bestimmungen gerade in der Informationsgesellschaft neue Bedeutung erlangen. Kevin Arquit, Leiter des Wettbewerbsbüros der Federal Trade Commission von 1989 bis 1992, etwa hat jüngst festgestellt, daß in Software-Märkten rasch Monopole entstehen können: Kartellwächter würden meist nur auf die Preisregulierung achten. In der Software-Entwicklung sei allerdings der Innovationsfaktor für den Verbraucher oft wichtiger. Seinen früheren Kollegen gab Arquit daher die Warnung mit auf den Weg, daß sich "politische Entscheidungsträger nicht einlullen lassen sollten durch eigennützige Aussagen dominanter Firmen hinsichtlich ihres Ansporns zur Innovation auch ohne Wettbewerbsdruck."

Die Weisheit, daß High-Tech-Märkte sich durch permanente Innovationen einzelner Firmen selbst regulieren würden, hält der Unternehmensberater für einen Mythos. Hätte ein Unternehmen erst einmal eine Großzahl von Nutzern auf einen Standard eingeschworen, könnte es die im Softwarebereich besonders leicht abschöpfbaren Größengewinne voll nutzen. Schließlich koste die Entwicklung einer Software nur einen bestimmten Betrag, und jede verkaufte Kopie bringe abgesehen von minimalen Distributionskosten nur noch Gewinn mit sich, der zum Aufbau von Marktschranken für Wettbewerber genutzt werden könne. Arquit ist daher davon überzeugt, daß Antitrust-Wächter in High-Tech-Industrien "schnell und entschieden handeln müssen, wenn Marktgröße von der Errichtung künstlicher Eingangsbarrieren begleitet wird."

Der Streit um den Internet Explorer könnte sich daher schnell auf das gesamte Unternehmen Microsoft ausdehnen, falls die Firma weiterhin Definitionsfragen und Wortklaubereien im Einzelfall vor Zukunftsperspektiven stellt. Noch ist der Kapitalismus jedenfalls keinesfalls so "reibungslos", wie Gates es sich wünschen würde. Und das Justizministerium könnte bei einer genaueren Prüfung seines sich ständig ausweitenden Konzerns schnell weitere Angriffspunkte finden. Schließlich befindet sich Gates seit seiner etwas verspäteten Entdeckung der kommerziellen Möglichkeiten des Internet auf einer um so beeindruckenderen Einkaufstour durch alle Ebenen der das Informationszeitalter prägenden Industrien. Geld spielt dabei keine Rolle, da die Kriegskassen des in der digitalen Netzwerk-Ökonomie reich gewordenen Weltunternehmens prall gefüllt sind. Rund 9 Milliarden Dollar hält Microsoft beispielsweise jederzeit in Bargeld flüssig, und das jährliche Entwicklungsbudget beläuft sich auf rund 2,5 Milliarden Dollar. Die "reine Software-Firma" Microsoft, als die Gates das Unternehmen öffentlich immer präsentiert, hat sich dank dieser Finanzmacht längst zu einem Player gewandelt, der bereits mehr als nur ein Standbein in der gesamten Internetindustrie hat ­ vom Zugangs- über den Distributionssektor bis hin zum Content- und Medienbereich ­ und dabei Angebote sowohl für den Heim- als auch den professionellen Unternehmensbereich bereithält.

Auf allen erdenklichen Wegen versucht Gates so an die Kunden und an ihr Geld zu kommen. Gehen die Pläne des Strategen auf, der die rasanten Wachstumsraten seines Unternehmens aufrechterhalten will und deshalb prozentual gesehen immer größere Projekte angehen muß, soll in Zukunft jeder Weg ins Internet über Microsoft führen. Traditionell über den PC ins Netz? Keine Frage: Windows und Internet Explorer befinden sich längst auf den Desktops der meisten Nutzer. Lieber über den Fernseher? 425 Millionen Dollar hat Microsoft für WebTV im April 1997 ausgegeben, um über die Set-Top-Boxen des kleinen Unternehmens aus dem Silicon Valley auch die Couchpotatoes zu erreichen. Um diesen Zukunftsmarkt schneller zu besetzen und dem Verbraucher eine größere "Auswahl" zwischen den Geräten zu bieten, handelte Microsoft weiterhin einen Deal mit dem größten amerikanischen Kabelfernsehbetreiber, Tele-Communications-Inc. (TCI), aus, demzufolge Microsofts Betriebssysteme auf den 5 Millionen Webgeräten für den Fernseher laufen wird, die TCI von 1999 an unter seine Kunden bringen will. Dagegen nimmt sich die Investition von einer Milliarde Dollar in Comcast, den viertgrößten Kabelnetzbetreiber in den Staaten, der für seine fortgeschrittene Bandbreitentechnik bekannt ist, geradezu als Nebengeschäft aus. Und daß Gates durch seine persönliche Investition in Teledesic auch vom Himmel her kommend Datenübertragung möglich machen will, erscheint dann nur noch als logische Fortsetzung der Strategie.

Auch über zahlreiche Gadgets will der Visionär die Menschheit ins Netz bringen: Windows CE läuft bereits auf 20 Prozent der Mini-Computer und bald sogar in einem Auto von Nissan. Im Unternehmen steht dagegen der Windows NT-Server für professionellere Aufgaben bereit, und die Datenbanken werden von Microsofts Backoffice verwaltet. Wer im Netz selbst dann ein Auto kaufen, eine Zeitung lesen, Nachrichten sehen möchte oder sich für lokales Entertainment interessiert ­ Microsoft macht's möglich. Um eines klarzustellen ­ in diesen Bereichen hat Microsoft noch Konkurrenz und der Markt ist alles andere als gefestigt. Dennoch geht die "Microphobia" um. Larry Ellison, als Vorstand des zweitgrößten Softwareherstellers Oracle der Intimfeind Gates', fragt etwa, "ob uns das Informations- oder das Microsoft-Zeitalter bevorsteht." Aber auch immer mehr Analysten und Wirtschaftsführer sehen die Notwendigkeit, die Marktmacht Microsofts zu beschränken. Unklar ist allerdings noch, ob die Wettbewerbswächter im amerikanischen Justizministerium ihre Ermittlungen ausweiten werden. Doch bereits in der momentanen Situation scheint Microsoft eine Menge Kräfte in das Verfahren zu investieren ­ und dabei in der Öffentlichkeit keine gute Figur zu machen. Ein Blick in die eigene Unternehmensgeschichte könnte für Microsoft da lehrreich sein: Schließlich konnte Gates IBM sein Disk Operating System in einer Zeit andrehen, in der Big Blue selbst in einen langen Clinch mit dem Kartellamt verwickelt war.