Alles so schön bunt hier.
Von Stefan Krempl.
Für die Surfer oft ein Ägernis, für Medienangebote eine Hauptfinanzierungsquelle:
Werbung ist aus dem Web nicht mehr wegzudenken und soll die Netzbesucher
mit immer mehr Nutzwert in ihren Bann ziehen. In: Tomorrow 4/1999
Werbung im TV -- Zeit, sich ein Bier zu holen. Werbung im Web
-- Gelegenheit, die Sternschnuppen im Brower zu zählen oder das
Modem zu verfluchen. Und was dann nach Minuten an bunten und zappelnden
Bildern auf den Screen wandert, ist oft alles andere als spannend.
Kaum ein Surfer geht daher dem nervösen Blinken einer Anzeige
nach. Doch die Werbebranche rüstet technologisch und kreativ auf,
um die Kunst der Verführung im Web auf eine neue Stufe zu heben
und die Aufmerksamkeit der Nutzer auf sich zu ziehen: Werbeflächen
im Netz wird mit Hilfe geschickter Programmierung Mehrwert eingehaucht,
Anzeigen werden auf die Bedürfnisse des Konsumenten maßgeschneidert
und Sonderwerbeformen wie gesponserte Spiele und Events sollen
vergessen machen, daß Marketingexperten ihre Finger im Spiel haben.
"Brot und Butter" des Webvertising werden bis auf weiteres die
Banner, die visitenkartengroßen, meist gleich am Anfang einer
Site plazierten Anzeigenbilder bleiben, ist sich Michael Kleindl,
Geschäftsführer des Vermarktungsnetzwerkes 1&1 Adlink, sicher.
Etwa 65 der Ausgaben für Online-Werbung, die einer Schätzung von
Gruner + Jahr zufolge 1998 in Deutschland bei rund 55 Millionen
Mark lagen, gingen auf das Konto dieser ältesten Werbeform im
Web. "Erfunden" hat die Banner Hotwired: Als der Veteran unter
den Webzines als digitale Ergänzung zum Kultmagazin Wired im Oktober
1994 ins Netz ging, dachten die Pioniere über ein Finanzierungsmodell
für die Inhalte des Angebots nach und reservierten einen Teil
der Homepage für den Schriftzug des ersten Werbekunden.
Heute sind die Banner längst keine statischen Firmenlogos mehr.
Kurze "Filme" erzählen eine kleine Geschichte wie in einem richtigen
Werbespot [hier sollten am Rand zwei, drei Shots von einem der
Banner von O&M zu sehen sein, die ich Dir schicke], Spiele warten
mit Entertainment auf und aktuelle Nachrichten tickern über die
Anzeigen von Microsoft, MSNBC oder Time-Warner [die MS-Banner
finden sich u.a. in der Cybertimes der New York Times oder bei
Wired News]. Neue Impulse bringen auch Banner, die wie eine Art
Mini-Website mit HTML-Formularen angereichert werden. Der Nutzer
kann direkt über die Anzeige Infomaterial bestellen oder sich
auf eine Mailingliste eintragen, ohne das Angebot des Werbeträgers
zu verlassen. Auch Datenbankabfragen sind möglich: Der Buchgroßhändler
Libri hat neben Suchanfragen in Webverzeichnissen und Searchengines
einen Button plaziert, mit dem sich sein Bestand nach einer zum
Suchbegriff passenden Auswahl durchforsten läßt. In den USA finden
sich sogar Banner, auf denen der Surfer seine Einkäufe erledigen
kann: Beim sogenannten In-Ad-Shopping ist nebem einem Produktfoto
gleich das Eingabefeld für die Kreditkarte. Der virtuelle Blumenladen
1-800-Flowers und der Chocolatier Godiva versuchen damit genauso
ihren Absatz zu steigern wie der Kleiderhändler Eddie Bauer [im
Web zu finden unter www.enliven.com/gallery.htm], der sogar Größe,
Farbe und Schnittform der gewünschten Ware auf dem Werbefeld abfragt.
Um die Webwerbung zusätzlich attraktiv zu machen, sind die Marketer
ständig den Bedürfnissen der Nutzer auf der Spur. "Targeting"
soll eine zielgenaue Ansprache ermöglichen und verhindern, daß
der wiederholte Besucher einer Site zweimal dieselbe oder eine
"langweilige" Anzeige zu Gesicht bekommt. Dazu werten die Werbeträger
-- allein, in Vermarktungsgemeinschaften oder in Netzwerken von
Werbevermarktern wie 1&1 Adlink oder DoubleClick -- alle Informationen
aus, die beim Surfen anfallen. "Das sind Daten wie Browsertyp
und Betriebssystem, die Uhrzeit sowie die Kennung des Internetproviders",
erläutert Marc Smaluhn, Sales Manager Central Europe bei Netgravity,
einem Anbieter von Plattformen für die Auswertung dieser "Surf-Spuren"
und die Administration von Anzeigenkampagnen im Web. "Praktisch
sieht das so aus," gibt Matthias Schrader von der Agentur Sinner+Schrader
Interactive Marketing ein Beispiel, "daß eine Bank in der Mittagspause
gezielt potentiellen Kunden, die Linux oder ein älteres Betriebssystem
nutzen und deswegen online bisher keine Überweisungen vornehmen
konnten, ein vereinfachtes Internetbanking-Verfahren vorstellt.
Alle T-Online oder AOL-Nutzer werden als Zielgruppe dieser Kampagne
allerdings ausgeschlossen, da sie höchstwahrscheinlich bereits
Homebanking nutzen."
Targeting macht es auch möglich, daß deutsche Surfer beim Aufrufen
der New York Times Banner für Buecher.de erblicken. Werbeträger
wie Online-Magazine oder Suchmaschinen können den Werbekunden
themen-, zeit- oder regionsspezifische Plazierungsmöglichkeiten
bieten. Beim Webverzeichnis web.de etwa lassen sich Banner gezielt
nach einer ganzen Palette von Themenbereichen der Interessenten
von Auto & Verkehr über Erotik bis zu Nachrichten buchen. Der
Datenbedarf für ein möglichst genaues Target ist allerdings hoch.
Vor allem in den USA heften viele Datenauswerter den Besuchern
der von ihnen betreuten Werbekunden daher kleine Textprogramme,
sogenannte Cookies, an die Browser und können sie so auf den entsprechenden
Sites verfolgen und wiedererkennen. Langfristig lassen sich ausgefeilte
Nutzerprofile erstellen, auch wenn der Surfer in der Regel nicht
namentlich bekannt ist. Es entstehen riesige "Datenminen", die
von den Werbeplanern nach Ähnlichkeiten und Verknüpfungen bei
den Vorlieben der Nutzer durchforstet werden. Engage Technologies,
eine Firma, die solche Datenprofile sammelt, hat nach eigenen
Angaben bereits weit über 30 Millionen digitaler Nutzerakten angelegt.
Auch in Deutschland sind die Marketingexperten dem Surfer und
seinen Interessen auf der Spur. Sinner+Schrader etwa hat mit Adtraction
eine Methode gefunden, mit der genau aufgezeichnet werden kann,
wie lange die -- anonym bleibenden -- Nutzer sich auf einer Site
aufhalten und was sie dort kaufen. "Der Wert eines Banners", erläutert
Schrader, "läßt sich bis auf den Pfennig genau bestimmen."
Vielen Online-Angeboten dürfte die neue Durchsichtigkeit (noch)
nicht gelegen kommen. Bisher ziehen die meisten Werbeträger als
Grundlage für die verlangten Preise für die Bannerschaltung die
Zahl der Surfer heran, die ihr Angebot besuchen, und rechnen letztlich
wie im Printbereich sehr ungenau ab. Sie argumentieren damit,
daß ein Banner auch eine Imagewirkung für das werbende Unternehmen
hat, die sich nicht in Heller und Pfennig bemessen läßt. Außerdem
könne man keine Leistungsgarantie für die kreative Idee einer
Agentur abgeben, die mit für den Erfolg eines Banners ausschlaggebend
sei. Schrader glaubt dagegen, daß es im Web allein "auf die Transaktionen"
und den durch Werbebanner erzielten Umsatz ankomme.
Langfristig werden die Werbeträger einen größeren Teil ihrer Einnahmen
durch E-Commerce abdecken müssen. Gerade das Finanzierungdilemma
von Medienangeboten im Web ist groß. Die Werbeentwicklung sei
zwar "äußerst zufriedendstellend" verlaufen im vergangenen Jahr,
meint Ulrich Booms, Redaktionsleiter von Spiegel Online. Doch
die Auguren der Marktforschungsinstitute prophezeien langfristig
rückgängige Einnahmemöglichkeiten durch Bannerwerbung: Forrester
Research etwa rechnet damit, daß nicht nur die Preise für einzelne
Banner sinken, sondern auch generell Unternehmen mehr Geld in
ihre eigenen Online-Angebote stecken und die Ausgaben für Bannerwerbung
deshalb in den USA vom Jahr 2000 an zurückgehen werden.
"Jahrelang haben die Marktforscher den Inhalte-Anbietern einen
Boom in der Online-Werbung versprochen", schüttelt Klemens Polatschek,
Leiter der Web-Ausgabe des Berliner Tagesspiegels, den Kopf über
die neuen Untersuchungen, "und nun behaupten sie das Gegenteil."
Auch wenn keiner in der Medien- und Werbebranche den Propheten
wirklich Glauben schenken will -- in einer Untersuchung der GfK
und der Wirtschaftswoche gaben 22 Prozent der befragten Werbeleiter
von deutschen Unternehmen an, 1999 mehr Geld in Online-Werbeträger
zu investieren , geht die Suche nach neuen Finanzierungmodellen
und Werbeformen dennoch weiter. Die meisten Verlage und Rundfunkanstalten
gehen davon aus, daß die Nutzer auch in den kommenden Jahren nicht
dafür bereit sein werden, für Inhalte zu bezahlen. Jörg Bueroße,
Chefredakteur von Focus Online, hofft daher, daß ein steigender
Anteil der Einnahmen von Transaktionserlösen durch Beteiligungen
an E-Commerce-Angeboten kommen wird. Auch Spiegel Online will
sich weitere Standbeine neben den Werbeerlösen sichern: außer
zum Lesen der Redaktionsbeiträge laden die Hamburger zum Bummeln
in ihren Online-Shop ein und entwickeln Internet-Auftritte für
andere Unternehmen.
Bisher sind dabei eigene Inhalte und Werbung bzw. Shoppingangebote
streng getrennt. "Die Nähe zwischen beiden Bereichen könnte aber
größer werden", gibt Booms zu erkennen, denn nicht alle Regeln
aus dem Printbereich seien im Web aufrechtzuerhalten. Die Online-Ausgabe
der New York Times macht es vor: dort findet sich bei jeder Buchrezension
ein Link auf die Site des kooperierenden Online-Buchhändlers.
Die einen sehen das als Service, andere als Unterwanderung der
redaktionellen Unbestechlichkeit. Daß in Zukunft nur noch reine
Pressemitteilungen abgedruckt werden, fürchtet Booms allerdings
nicht: "Das wollen auch die Unternehmen nicht, da die Glaubwürdigkeit
eines Mediums schnell verloren ginge."