Das Klima hat sich geändert
Interview mit Ingo Krocke, Partner beim Münchner VC Wellington
(www.wellington.de)
Wie sieht Ihre bisherige Bilanz bei Internet-Startups aus?
Immobilien-Scout haben wir verkauft, Alando ging schon vor einem
Jahr an eBay in Kalifornien. Von den Consumer-Konzepten haben
wir noch Fair Ad, die laufen auf einer sehr schönen Bewertung,
und Webmiles. Bei Ciao.com haben wir im Frühjahr 35 Millionen
Mark nachgelegt. Generell haben alle diese Firmen ein hohes Bewusstsein
gezeigt und ihr Augenmerk vor allem auf das Wachstum der Mitgliederzahlen
-- nicht unbedingt der Einnahmen -- gelegt. Es ging erst einmal
darum, hohe Marktanteile zu erreichen. Das relativiert sich aber
jetzt und der Fokus liegt nun darauf, dass Einnahmemodell unter
Beweis zu stellen.
Überall kursieren Todeslisten und durchschnittlich schafft es
ja tatsächlich nur ein Bruchteil der von VCs geförderten Startups,
wirklich zu einem langlebigen Unternehmen heranzuwachsen. Wer
steht bei Wellington auf der internen Todesliste?
Wir haben vielleicht ganz gut abgewägt oder einfach Glück gehabt,
aber noch gibt es bei uns keine schwarze Liste. Viele Konzepte,
die keinen dauerhaften Wettbewerbsvorteil haben wie eine Vielzahl
der B2C-Konzepte, wo Firmen direkt Spielwaren, Lebensmittel oder
Bücher an Verbraucher verkaufen, stecken in der Krise. In diesen
Bereichen ist es äußerst schwierig, sich zum Markführer hochzuschwingen.
Wir haben solche Startups nicht finanziert. Aber die ganzen Todeslisten
halten einer Überprüfung kaum stand. Selbst bei den oft in diesem
Zusammenhang genannten Firmen wie ebookers, Fortunecity oder Buch.de
verfügen die meisten noch über hohe Liquiditätsreserven -- die
börsennotierten ohnehin.
Das Klima hat sich aber geändert: Es ist jetzt eher wieder so
wie in den Vor-Hype-Zeiten. Da musste man in einem überschaubaren
Zeitraum gute Fundamentaldaten zeigen und profitabel sein können.
Und das muss man heute auch wieder. Selbst wenn man eine weitere
Finanzierungsrunde vor dem Börsengang einschiebt, muss man trotzdem
bereits sehr nahe an die Profitabilität herankommen.
Ist die Untergangsstimmung übertrieben?
Wenn Sie einen alten Hasen im VC-Geschäft fragen wie hoch die
Ausfallquote der Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland
oder in den letzten 30 Jahren in den USA, dann sind das Werte
zwischen zehn und 40 Prozent. Bis vor kurzem war es nun so, dass
fast jedes Internet- und E-Commerce-Konzept hochgehypt wurde und
auch an die Börse gebracht werden konnte. Doch wenn jetzt tatsächlich
zwischen zehn und 30 Prozent dieser Firmen pleite gehen -- mein
Gott, dann sind wir halt bei einem ganz normalen historischen
Durchschnitt.
Was bedeutet diese Ausfallrate für die VCs? Wird sich da nicht
doch der ein oder andere verrechnet haben?
Wir haben uns im vergangenen Jahr wirklich hart gefragt: Was braucht
man eigentlich, um ein guter Venture Capitalist zu sein. Etablierte
Häuser wie Wellington haben ja gesehen, dass Newcomer im Investorengeschäft
ohne große Überprüfung ihrer Portfolios auch zehn- bis zwanzigfach
ihren Return on Investment gemacht haben. Da sind wir natürlich
ins Zweifeln gekommen. Doch auch da sind wir wieder im Bereich
der Normalität angelangt. Ein VC muss eben eine Firma gründlich
prüfen, sich ein gutes Management-Team aussuchen und ein positives
Businessmodell mit Margen, die langfristig durchhaltbar sind,
vorfinden. Wenn man diese Kriterien anwendet, muss man als VC
eigentlich nicht so besorgt sein.
Womit verdienen die VCs selbst ihr Geld? Muss es immer ein hochfliegender
Börsengang der geförderten Startups sein?
Es kommt sehr auf die Phase des Exit-Marktes an. Ein IPO hat gegenüber
einem sogenannten Trade-Sale, also einem Verkauf an einen Strategen,
den Vorteil, dass die Bewertung höher ist. Man muss aber auch
sagen, dass ein IPO mehr Kraft kostet und man nicht so schnell
wieder herauskommt. Bei einem Trade-Sale sehen Sie sofort Ihr
Geld. Bei einem IPO stecken zur Zeit des Börsengangs ja sowohl
der Venture Capitalist wie das Management noch voll drin in der
Firma und es lassen sich höchstens mal fünf Prozent der Anteile
veräußern. Man muss also immer die gesamte Situation sehen.
Was ist für Wellington momentan "hot"? In welche Sektoren investieren
sie noch?
Wir machen sehr viel im Wireless-Bereich, schauen uns intensiv
einige Security- und Application-Service-Provider-Konzepte an
und kommen langsam zu der Erkenntnis, dass Broadband endlich soweit
ist, dass man sich mit Investments anfreunden kann. Aber auch
die so genannten Internet- oder Commerce-Enabler, die das Basis
für das Netzgeschäft bereiten, sind für uns ein Thema. Wer von
der immer reichlich zynischen Investmentgemeinde hätte beispielsweise
vor zwei Jahren etwas auf Intershop gegeben. Da haben die Leute
nur drüber gelacht. Und jetzt sehen wir, dass Intershop einen
riesigen Bedarfsmarkt ausfüllt. Ob das nun die beste Technologie
ist oder nicht, ist eigentlich egal. Hauptsache, sie liefern ein
ordentliches Produkt ab und jeder größere Händler braucht eigentlich
so eine Shopping-Funktionalität. Dementsprechend ist der Bedarf
für Enablers sehr groß.
Hat die Gründerstimmung in Deutschland also erst angefangen?
Genauso wie das Internet fundamental unsere Kommunikation sowohl
auf sozialer wie wirtschaftlicher Ebene bereits verändert hat
und noch weiter gravierend verändern wird, so hat das Phänomen
eines starken Exit-Marktes -- und das ist der Neue Markt nach
wie vor -- in Deutschland eine Gründerwelle ausgelöst. Durch kleine,
zyklische Schwankungen der Exit-Märkte wird diese Stimmung meiner
Meinung nach nicht gravierend beeinflusst. Die Deutschen sind
sich bewusst geworden, dass Unternehmertum hohe Qualitäten hat.
Die Risiken, die in der Vergangenheit mit dem Sprung in die Selbständigkeit
verbunden waren, waren ja auch weniger finanzieller Natur, sondern
hatten eher mit dem gesamten Sozialprestige zu tun. Heute gibt
es sie kaum noch. Es ist keine Schande mehr, sich mit einem Internetkonzept
selbständig zu machen und, wenn es nicht so gut funktioniert,
einen Neustart durchzuführen. Je mehr sich diese Haltung durchsetzt,
desto mehr Köpfe werden alte, große Unternehmen verlassen und
ihre eigene Firma gründen.
Die Fragen stellte Stefan Krempl im Juli 2000
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