"Neue Mischung zwischen Autonomie und Ausbeutung"

Interview mit Detlev Liepmann, Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der FU Berlin


Was lassen sich Firmenchefs einfallen, um die Mitarbeiter am Ball zu halten?

Das Thema existiert schon so lange, wie es Unternehmen mit Vorgesetzten und Angestellten gibt. Das kann man mindestens 100 Jahre zurückverfolgen. In der Psychologie sprechen wir von extrinsischer und intrinsicher Motivation. Das bedeutet, einerseits werden äußere Anreize wie Arbeitszeiten, Lohn oder Akkordarbeit eingesetzt. Das ist die traditionelle Schiene wie wir sie seit der industriellen Revolution verfolgen. Eine Ergänzung taucht seit ungefähr den 30er-Jahren auf, als man erkannte, dass bestimmte Motivationsfaktoren aus der Person selbst herauskommen, z.B.: "Mir macht die Arbeit Spaß", "Ich will mich in der Arbeit selbst verwirklichen", "Ich will vorankommen und mit anderen zusammenarbeiten". Das sind also nicht rein ökonomische Anreize.

Die Hinwendung zur intrinsischen Motivation hat bei Unternehmern heftige Diskussion ausgelöst, wie sie ihre Mitarbeiter auch ohne etwa ein Zusatzgehalt von zehn Mark mehr oder längere Urlaubszeiten bei der Stange halten können. Stattdessen sollen die Angestellten lieber Spaß an der Arbeit haben und die Motivation aus sich heraus erleben. Dazu sind zunächst andere Strategien entwickelt worden, die die Kooperation zwischen unterschiedlichen hierarchischen Ebenen regeln sollen. Also: Wie hat ein Vorgesetzter mit Mitarbeitern umzugehen oder wie sehen die Angestellten ihre Chefs. In den Vordergrund geschoben hat sich dabei immer weiter das Miteinander im Betrieb, was gleichzeitig den Abbau von Hierarchien zur Folge hat. Insgesamt haben wir daher heute in weiten Unternehmensbereichen lockerere Kommunikations- und flache Organisationsstrukturen mit größerem Informationsaustausch.


Fördert das automatisch die Motivation?

In den letzten zehn Jahren wurde diese Entwicklung bewusst gefördert. Man kann diese Enthierachisierung etwa durch die Erweiterung der Kompetenzen der Mitarbeiter erreichen. Ziel ist, mehr in Autonomie in die Unternehmen zu bringen und die Teamorientierung zu fördern. Die Angestellten müssen dazu mit mehr Entscheidungs- und Handlungskompetenz betraut werden, sie müssen ganzheitlicher denken und mehr Verantwortung übernehmen. Man erwartet, dass sich dadurch automatisch auch andere Motivationsansätze entwickeln.


Das gilt besonders für Startups?

In den Startup-Unternehmen der Neuen Ökonomie kommt noch ein ganz anderer Aspekt dazu. Dort erleben wir unter Gesichtspunkten der Arbeitszeitregelung etwas zugespitzt eine neue Mischung zwischen Autonomie und Ausbeutung. Die Unternehmen sind von ihrer inneren Strukturierung her oft so angelegt, dass feste Arbeitszeiten überhaupt nicht sinnvoll sind. Es wird aufgabenbezogen gearbeitet ­ oft auch 48 Stunden lang an einem Stück. In Japan ist gerade eine Firma verklagt worden, bei der ein Mitarbeiter nach vier oder fünf Tagen ununterbrochener Schreibtischarbeit Selbstmord begangen hat. Es besteht also auf der einen Seite eine neue Freiheit, sich seine Arbeit selbst einzuteilen. Das führt aber auch dazu, dass über "tarifliche" Arbeitszeitregelungen sehr intensiv weitergeschuftet wird.


Startups sind für ihre Burnout-Effekte bekannt. Können Motivationsaspekte wie Kickern die langen Arbeitszeiten erträglicher gestalten und das Firmenklima verbessern?

Es gibt ja seit längerem die skurrilsten Methoden, Teamgeist in Unternehmen zu fördern. Das geht von Firmen, die ihre Mitarbeiter im Urwals aussetzen und Würmer fressen lassen, bis zu gemeinsamen Seilkletterpartien. Das alles sind abenteuerliche Ansätze, die jeder wissenschaftlichen Basis entbehren, schwer überprüfbar und unter dem Stichwort "Mode" sehr gut unterzubringen sind. Auch spezifische Formen der Pausenregulierung, zu der man das Tischfußballspielen letztlich zählen könnte, sind seit Jahren vor allem in japanischen und amerikanischen Unternehmen im Kommen. Sei es der Frühsport, der gemeinsam betrieben wird, sei es die Einrichtung von Räumlichkeiten, die mit der eigentlichen Arbeit nichts zu tun haben. Das Aufstellen von drei Spieleautomaten und einem Kicker kann in diesem Sinne durchaus eine Ergänzung sein, aber die Idee ist nicht neu. All diese Dinge sind im Endeffekt dazu gedacht, den Arbeitsablauf aufzulockern und sich bei diesen Gelegenheiten mental auszutauschen, also bestimmte Gespräche in einem gelockerten Kontext weiterzuführen. Dass dadurch die Motivation unmittelbar erhöht wird, ist aber eine wagemutige Annahme. Kreative Pausen sind natürlich sinnvoll. Aber ob sie durch Kickern angereichert werden müssen, bezweifle ich.


Sie glauben also nicht, dass bald auch in Konzernen Kickertische stehen?

Es ist nichts dagegen einzuwenden und es wäre eine Ergänzung zu den Tischtennisplatten, die den etwas eintönigen Bewegungsablauf auf einem Stuhl vor einem Computer heute schon auflockern sollen. Aber all diese Geschichten dienen meiner Meinung nach eher einer bestimmten Form der Entspannung und sind gut fürs Ausbrechen aus der Routine. Die Motivationssteuerung ist aber noch nicht belegt, speziell wenn es bei der eigentlichen Arbeit um die Inangriffnahme komplexer Inhalte im Team geht.

Die Fragen stellte Stefan Krempl

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