Mit Wolfsgeheul zur Marke?
Werbung und PR für Startups
(Von Stefan Krempl)

Der Mail-Mann

Andreas Dripke "spamt" für Startups. Im Kampf um die Aufmerksamkeit seiner auserwählten Kunden treibt der PR-Mann Journalisten an den Rand des Systemabsturzes. Doch seine Kunden schwören auf ihn.


Ein Name, kein Programm, Millionen unnütze Worte: An jedem Wochentag ergießen sich abgefeuert von ihren Startbasen in den Dripke-Agenturen in Wiesbaden, München und Berlin Hunderttausende Emails mit hochwichtigen Informationen aus der Wunderwelt der New Economy sowie "exklusiven" Interviewmöglichkeiten und "einmaligen Gelegenheiten" für bewegende Geschichten in die Email-Boxen von Journalisten, die irgendwie, irgendwo, irgendwann mal etwas über das Internet geschrieben haben. Der Absender ist immer derselbe: andreas@dripke.de. Die "Inhalte" sind austauschbar: Ein Startup stellt einen CEO ein, ein anderes gibt seit neuestem Gesundheitstipps im Netz. Heute "reißen" sich Werbeagenturen um den Etat eines Gründerunternehmens, morgen wird "live" von der Launch-Party derselben Firma berichtet.

Der Mann mit der Brille und seine zusammen mit Lothar Wolf und Helmut Weissenbach betriebene Firma Dripke, Wolf & Partner (www.dripke.de) sind ein Phänomen. Wie die Fliegen fallen die halbwüchsigen Gründer der neuen Wirtschaft über ihn her ­ der 38-Jährige kann sich und sein 40-köpfiges Team vor Arbeit kaum noch retten. Mindestens fünf Firmen, die über die legendäre Email-Adresse ihre News in die virtuelle Welt hinausposaunen möchten, klopfen wöchentlich bei ihm an. "Über 90 Prozent davon auf Empfehlung anderer Kunden", freut sich der begehrte PR-Impresario. Sein Portfolio wird zu 70 Prozent von Startups bevölkert und liest sich dank Namen wie astromo.de, datango.de, eBay.de, eCircle, meOme.de oder myToys.de wie ein kleines Who-is-who der Szene.

Dripkes Strategie ist schwer zu verkennen: Awareness schaffen für seine Klientel, Namen penetrieren. Um jeden Preis. Dass dabei Masse über Klasse geht, nimmt so manches Startup wohlwollend in Kauf. "Die Presse-Clippings zeigen, dass es immer jemanden trifft", weiss Joachim Guentert, Sprecher von eBay Deutschland. Selbst bei "leichten Meldungen" würden zudem die Gebote bei den bekanntgegebenen Auktionen steigen. So mancher Schreiberling scheine an den "handsignierten Siegerschuhen der Tour de Suisse" von Jan Ullrich oder den "die andere, introvertierte Franziska van Almsick" zeigenden Fotos von Jim Rakete selbst Gefallen zu finden, die zusammen mit anderen Devotionalien fast täglich in einer Presseinfo von Dripke angepriesen werden. Allein die Nachrichten, die der PR-Crack in den vergangenen anderthalb Jahren für seinen Stammkunden eBay verschickt hat, dürften gedruckt und gebunden die Telefonbücher Berlins und Hamburgs wie dünne Reclam-Heftchen erscheinen lassen.

Die schiere Menge der Botschaften, die tagein, tagaus die Dripke-Server verlassen, empfinden zahlreiche der rund 3500 Adressaten als Spam. "Täglich etwa sechs bis zwölf Nachrichten" trudeln bei Detlef Borchers ein. Die meisten davon doppelt, stöhnt der Online-Kolumnist vom Bulkhof in der Nähe von Osnabrück: "Beschweren hilft nix." Zumindest nicht per Email. Andere Journalisten haben daher wegen der unerwünschten Massenmailings längst zum Telefonhörer gegriffen ­ seitdem verstopfen die Presseinfos ihren Briefkasten an der Haustür.

Dass die gleichen Nachrichten oft zweimal in der Inbox landen, "ist nicht intendiert", widerspricht Dripke jeglichen Spekulationen über eine "Doppelt-genäht-hält-besser"-Strategie in seinem Haus. Von der Hand weisen will er die zusätzliche Mailbelastung allerdings nicht. "Wir haben ein technisches Problem mit Outlook, seit unser Provider, IBM Network, von AT&T geschluckt wurde", gesteht Dripke. So komme es vereinzelt vor, dass eine Botschaft nach zwei Minuten automatisch erneut gesendet werde. "Wir arbeiten daran", entschuldigt sich der Massenmailer, der inzwischen die Benutzung eines anderen Email-Clients nicht mehr ausschließt. Obwohl Microsoft steif und fest behaupte, dass es nicht an Outlook liege.

Doch stärker als die Anzahl der Mails und Briefe nervt viele Empfänger ihre inhaltliche Belanglosigkeit. "Für die tägliche journalistische Arbeit lassen sich die wenigsten Meldungen verwerten", hatte Angelika Eckert schnell festgestellt. PR-Unternehmen wie Dripke, die nur Zeit kosten und "jeden Mist zu einer Pressemeldung verarbeiten", sind für die freie Journalistin aus Hamburg "eine Plage". Den Hals gestrichen voll von dem "Schwall an sogenannten News" hat auch Heinrich Seeger, der gerade auf dem Sprung vom freien Journalismus in die PR ist ­ freilich nicht zu Dripke. "Ballaststoffreich", findet der Mann vom Fach die Mails des neuen Kollegen: "Kaum Nährwert, aber laute Verdauung."

Zum Glück bietet die Technik auch Mittel, um der Mailflut Herr zu werden. Borchers etwa hat mittlerweile ähnlich wie viele seiner Kollegen einen Filter laufen, der Dripke-Mails "wegsortiert" in einen gleichnamigen Ordner. In der Regel bleiben sie dort ungelesen und werden nach einer Weile "umweltfreundlich" im digitalen Papierkorb entsorgt. "Manchmal kann ich den Müll für eine Kolumne gebrauchen", berichtet Borchers von einem kleinen Nutzwert, den er aus dem Sammelordner hin- und wieder zieht. Die aufgeblasenen Pläne der Startups hätten teilweise einen gewissen Unterhaltungswert und dienten als "Projektionsspiegel" der ganzen Branche.

Der Eindruck, dass sich "Dripkes-Startup-Welt" tüchtig um die eigene Achse dreht, bleibt schon bei einem flüchtigen Überfliegen des PR-Materials haften. Fast jedes zweite Startup wird beispielsweise von Harald Summa, Geschäftsführer des Electronic Commerce Forums eco (www.eco.de) bejubelt, der bei Anlässen wie der Vorstellung von datangos Webride-Software vom "Durchbruch des Internet zum Massenmedium" schwärmen darf. Und als Dripke im Juni den PR-Account vom digitalen Bücherproduzenten KeeBoo (www.keeboo.com) erhalten hatte, folgte Anfang Juli die Meldung, dass eco bereits eine Publikationsreihe von KeeBooks rund um e-Commerce aufgelegt habe. Die Synergien sind alles andere als zufällig: Auch eco ­ in den Pressemitteilungen immer als "Verband der deutschen Internet-Wirtschaft" gekennzeichnet ­ steht auf Dripkes Kundenliste.

Für derartige Aktionen, mit denen Dripke "seine Kunden sich gegenseitig hochpuschen lässt", hat der Bonner Wirtschaftsjournalist Harald Lux wenig übrig. 95 Prozent der PR-Botschaften wandern bei ihm daher nach einem Blick auf das Subject direkt in den Müll. Summa glaubt trotzdem, dass seine häufigen Erscheinungen in den Presseinfos nur die Sache vorantreiben und der gesamten Branche Gehör verschaffen: "In den letzten drei Jahren haben wir es geschafft, durch unsere Bekanntheit nicht nur national, sondern auch im internationalen Umfeld einige Entwicklungen mitzugestalten." Auch bei anderen Dripke-Klienten sorgt die Kritik von journalistischer Seite an ihrer PR-Agentur nicht zum Umdenken: "Dripke war einer der ersten, der sich auf die Belange der Startups spezialisiert hat und aus der IT-Ecke kommt", lobt Alexander Artopé, CEO von datango, den PR-König der Gründerfirmen. Weil er zudem "sehr kundenorientiert sei", halte datango ihm die Treue.

In den Krönungsgesang stimmt Guentert von eBay mit ein: "Dripke ist in seiner Flexibilität schwer zu schlagen". Schnell und knackig schreibe sonst kaum eine andere Agentur eine Presseinfo "über Nacht". Dass manche Meldung vielleicht besser mit etwas mehr Muße oder gar nicht fabriziert werden sollte, um bei den zugespamten Journalisten keine Abwehrreaktionen hervorzurufen, glaubt der Unternehmenssprecher nicht. "Lieber zuviel Information als zuwenig", ist sein Motto.

Die "Schro(t)tballerei", durch die sich Seeger als "Aufmerksamkeitsgestörter" behandelt sieht, liegt einer im Auftrag von Dr. Haffa & Partner (www.haffapartner.de) erstellten Studie über die Nutzung von Online-Medien im Journalismus im Trend. "Die Mailboxen der Journalisten werden von Meldungen überflutet, die zwar oft mit hoher Priorität gekennzeichnet sind, aber nicht unbedingt einen hohen Nachrichtenwert aufweisen", heißt es da. Die Folgerung der Studie stimmt nicht gerade optimistisch: "Der Überblick über wichtige und unwichtige Meldungen geht verloren."

Stefan Krempl Juli 2000

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