Der Mail-Mann
Andreas Dripke "spamt" für Startups. Im Kampf um die Aufmerksamkeit
seiner auserwählten Kunden treibt der PR-Mann Journalisten an
den Rand des Systemabsturzes. Doch seine Kunden schwören auf ihn.
Ein Name, kein Programm, Millionen unnütze Worte: An jedem Wochentag
ergießen sich abgefeuert von ihren Startbasen in den Dripke-Agenturen
in Wiesbaden, München und Berlin Hunderttausende Emails mit hochwichtigen
Informationen aus der Wunderwelt der New Economy sowie "exklusiven"
Interviewmöglichkeiten und "einmaligen Gelegenheiten" für bewegende
Geschichten in die Email-Boxen von Journalisten, die irgendwie,
irgendwo, irgendwann mal etwas über das Internet geschrieben haben.
Der Absender ist immer derselbe: andreas@dripke.de. Die "Inhalte"
sind austauschbar: Ein Startup stellt einen CEO ein, ein anderes
gibt seit neuestem Gesundheitstipps im Netz. Heute "reißen" sich
Werbeagenturen um den Etat eines Gründerunternehmens, morgen wird
"live" von der Launch-Party derselben Firma berichtet.
Der Mann mit der Brille und seine zusammen mit Lothar Wolf und
Helmut Weissenbach betriebene Firma Dripke, Wolf & Partner (www.dripke.de)
sind ein Phänomen. Wie die Fliegen fallen die halbwüchsigen Gründer
der neuen Wirtschaft über ihn her der 38-Jährige kann sich und
sein 40-köpfiges Team vor Arbeit kaum noch retten. Mindestens
fünf Firmen, die über die legendäre Email-Adresse ihre News in
die virtuelle Welt hinausposaunen möchten, klopfen wöchentlich
bei ihm an. "Über 90 Prozent davon auf Empfehlung anderer Kunden",
freut sich der begehrte PR-Impresario. Sein Portfolio wird zu
70 Prozent von Startups bevölkert und liest sich dank Namen wie
astromo.de, datango.de, eBay.de, eCircle, meOme.de oder myToys.de
wie ein kleines Who-is-who der Szene.
Dripkes Strategie ist schwer zu verkennen: Awareness schaffen
für seine Klientel, Namen penetrieren. Um jeden Preis. Dass dabei
Masse über Klasse geht, nimmt so manches Startup wohlwollend in
Kauf. "Die Presse-Clippings zeigen, dass es immer jemanden trifft",
weiss Joachim Guentert, Sprecher von eBay Deutschland. Selbst
bei "leichten Meldungen" würden zudem die Gebote bei den bekanntgegebenen
Auktionen steigen. So mancher Schreiberling scheine an den "handsignierten
Siegerschuhen der Tour de Suisse" von Jan Ullrich oder den "die
andere, introvertierte Franziska van Almsick" zeigenden Fotos
von Jim Rakete selbst Gefallen zu finden, die zusammen mit anderen
Devotionalien fast täglich in einer Presseinfo von Dripke angepriesen
werden. Allein die Nachrichten, die der PR-Crack in den vergangenen
anderthalb Jahren für seinen Stammkunden eBay verschickt hat,
dürften gedruckt und gebunden die Telefonbücher Berlins und Hamburgs
wie dünne Reclam-Heftchen erscheinen lassen.
Die schiere Menge der Botschaften, die tagein, tagaus die Dripke-Server
verlassen, empfinden zahlreiche der rund 3500 Adressaten als Spam.
"Täglich etwa sechs bis zwölf Nachrichten" trudeln bei Detlef
Borchers ein. Die meisten davon doppelt, stöhnt der Online-Kolumnist
vom Bulkhof in der Nähe von Osnabrück: "Beschweren hilft nix."
Zumindest nicht per Email. Andere Journalisten haben daher wegen
der unerwünschten Massenmailings längst zum Telefonhörer gegriffen
seitdem verstopfen die Presseinfos ihren Briefkasten an der
Haustür.
Dass die gleichen Nachrichten oft zweimal in der Inbox landen,
"ist nicht intendiert", widerspricht Dripke jeglichen Spekulationen
über eine "Doppelt-genäht-hält-besser"-Strategie in seinem Haus.
Von der Hand weisen will er die zusätzliche Mailbelastung allerdings
nicht. "Wir haben ein technisches Problem mit Outlook, seit unser
Provider, IBM Network, von AT&T geschluckt wurde", gesteht Dripke.
So komme es vereinzelt vor, dass eine Botschaft nach zwei Minuten
automatisch erneut gesendet werde. "Wir arbeiten daran", entschuldigt
sich der Massenmailer, der inzwischen die Benutzung eines anderen
Email-Clients nicht mehr ausschließt. Obwohl Microsoft steif und
fest behaupte, dass es nicht an Outlook liege.
Doch stärker als die Anzahl der Mails und Briefe nervt viele Empfänger
ihre inhaltliche Belanglosigkeit. "Für die tägliche journalistische
Arbeit lassen sich die wenigsten Meldungen verwerten", hatte Angelika
Eckert schnell festgestellt. PR-Unternehmen wie Dripke, die nur
Zeit kosten und "jeden Mist zu einer Pressemeldung verarbeiten",
sind für die freie Journalistin aus Hamburg "eine Plage". Den
Hals gestrichen voll von dem "Schwall an sogenannten News" hat
auch Heinrich Seeger, der gerade auf dem Sprung vom freien Journalismus
in die PR ist freilich nicht zu Dripke. "Ballaststoffreich",
findet der Mann vom Fach die Mails des neuen Kollegen: "Kaum Nährwert,
aber laute Verdauung."
Zum Glück bietet die Technik auch Mittel, um der Mailflut Herr
zu werden. Borchers etwa hat mittlerweile ähnlich wie viele seiner
Kollegen einen Filter laufen, der Dripke-Mails "wegsortiert" in
einen gleichnamigen Ordner. In der Regel bleiben sie dort ungelesen
und werden nach einer Weile "umweltfreundlich" im digitalen Papierkorb
entsorgt. "Manchmal kann ich den Müll für eine Kolumne gebrauchen",
berichtet Borchers von einem kleinen Nutzwert, den er aus dem
Sammelordner hin- und wieder zieht. Die aufgeblasenen Pläne der
Startups hätten teilweise einen gewissen Unterhaltungswert und
dienten als "Projektionsspiegel" der ganzen Branche.
Der Eindruck, dass sich "Dripkes-Startup-Welt" tüchtig um die
eigene Achse dreht, bleibt schon bei einem flüchtigen Überfliegen
des PR-Materials haften. Fast jedes zweite Startup wird beispielsweise
von Harald Summa, Geschäftsführer des Electronic Commerce Forums
eco (www.eco.de) bejubelt, der bei Anlässen wie der Vorstellung
von datangos Webride-Software vom "Durchbruch des Internet zum
Massenmedium" schwärmen darf. Und als Dripke im Juni den PR-Account
vom digitalen Bücherproduzenten KeeBoo (www.keeboo.com) erhalten
hatte, folgte Anfang Juli die Meldung, dass eco bereits eine Publikationsreihe
von KeeBooks rund um e-Commerce aufgelegt habe. Die Synergien
sind alles andere als zufällig: Auch eco in den Pressemitteilungen
immer als "Verband der deutschen Internet-Wirtschaft" gekennzeichnet
steht auf Dripkes Kundenliste.
Für derartige Aktionen, mit denen Dripke "seine Kunden sich gegenseitig
hochpuschen lässt", hat der Bonner Wirtschaftsjournalist Harald
Lux wenig übrig. 95 Prozent der PR-Botschaften wandern bei ihm
daher nach einem Blick auf das Subject direkt in den Müll. Summa
glaubt trotzdem, dass seine häufigen Erscheinungen in den Presseinfos
nur die Sache vorantreiben und der gesamten Branche Gehör verschaffen:
"In den letzten drei Jahren haben wir es geschafft, durch unsere
Bekanntheit nicht nur national, sondern auch im internationalen
Umfeld einige Entwicklungen mitzugestalten." Auch bei anderen
Dripke-Klienten sorgt die Kritik von journalistischer Seite an
ihrer PR-Agentur nicht zum Umdenken: "Dripke war einer der ersten,
der sich auf die Belange der Startups spezialisiert hat und aus
der IT-Ecke kommt", lobt Alexander Artopé, CEO von datango, den
PR-König der Gründerfirmen. Weil er zudem "sehr kundenorientiert
sei", halte datango ihm die Treue.
In den Krönungsgesang stimmt Guentert von eBay mit ein: "Dripke
ist in seiner Flexibilität schwer zu schlagen". Schnell und knackig
schreibe sonst kaum eine andere Agentur eine Presseinfo "über
Nacht". Dass manche Meldung vielleicht besser mit etwas mehr Muße
oder gar nicht fabriziert werden sollte, um bei den zugespamten
Journalisten keine Abwehrreaktionen hervorzurufen, glaubt der
Unternehmenssprecher nicht. "Lieber zuviel Information als zuwenig",
ist sein Motto.
Die "Schro(t)tballerei", durch die sich Seeger als
"Aufmerksamkeitsgestörter" behandelt sieht, liegt einer im Auftrag
von Dr. Haffa & Partner (www.haffapartner.de) erstellten Studie
über die Nutzung von Online-Medien im Journalismus im Trend. "Die
Mailboxen der Journalisten werden von Meldungen überflutet, die
zwar oft mit hoher Priorität gekennzeichnet sind, aber nicht unbedingt
einen hohen Nachrichtenwert aufweisen", heißt es da. Die Folgerung
der Studie stimmt nicht gerade optimistisch: "Der Überblick über
wichtige und unwichtige Meldungen geht verloren."
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