Die neue Gründerzeit (Von Stefan Krempl)

Wir leben in einer neuen Gründerzeit. Über viele Jahre beklagte man, dass nicht genügend Risikokapital zur Verfügung stand, neue Ideen zu finanzieren. Heute besteht die Gefahr, dass Studenten der Betriebswirtschaft im 8. Semester, die einen kaum durchgerechneten Business-Plan mit Desktop-Publishing aufmotzen, mit Geld zugeschissen werden.

Peter Glotz: Wir Daxianer. Wie die Börse Leben und Denken verändert. Die Woche 16/2000, 1

"40 Jahre lang war Unternehmensgründung ... in Deutschland ein Fauxpas, war die kapitalistische Motivation, reich zu werden, hier verpönt", weiss Frank Böhnke, Partner beim Risikokapitalgeber Wellington (zitiert nach SZ Magazin 2.6.2000, 16). Doch spätestens, seit die sechs Jungs von Alando.de nach knapp 100 Tagen im Internet-Geschäft durch den Aufkauf von eBay im Mai 1999 zu Millionären wurden, haben sich die Zeiten geändert. "Plötzlich sind Vorbilder entstanden, die zeigen, wie man es eben doch machen kann", freut sich der den Boom finanziell unterstützende Böhnke. "Es ist wieder akzeptabel, Unternehmen zu gründen mit dem Ziel, sie an die Börse zu bringen. Es ist wieder erlaubt, vielleicht sogar lässig, reich zu werden" (ebd.).

Es herrscht Goldgräberstimmung im deutschen Internet. Die Möglichkeit, mit einer guten Idee und wenig Einsatz an Arbeitsmitteln schnell zu hohen Benutzerzahlen und Marktanteilen zu kommen, sorgt zur Zeit in Deutschland für eine noch nie da gewesene Gründungswelle. … Interessant ist das Internet-Geschäft vor allem dadurch geworden, dass es möglich ist, im Internet mit relativ geringem Einsatz an Produktionsmitteln ein Millionenpublikum anzusprechen.

Marco Zierl: Geschäftemacher. Internet Professionell 5/2000, 56

Freude brach vor allem Anfang des Jahres nicht nur bei (neuen und alten) Wirtschaftsmagazinen aus, die endlich über Erfolgsgeschichten aus der deutschen Gründerszene berichten konnten, sondern auch bei gestandenen, konservativen Zeitungen. Der FAZ zufolge ist die neue Gründerszene gar "das Beste", was "der deutschen Wirtschaft seit langem passiert ist."

In Deutschland herrscht Gründerzeit. Überall im Land werfen gestandene Manager, Banker und Juristen ihre sicheren Arbeitsplätze hin und gründen Internet-Unternehmen. ... Das notwendige Sprungbrett liefern immer häufiger die rund 200 Risikokapitalgesellschaften in Deutschland. Hinter diesen Kapitalgebern stehen oft Fondsgesellschaften, die Geld von privaten Finanziers oder Großunternehmen verwalten. ... Noch ist Deutschland im Vergleich mit den Vereinigten Staaten ein Internet-Entwicklungsland. Dort haben die Internet-Unternehmen, die ähnlich klein angefangen haben wie die deutschen Gründer heute, in drei Jahren bereits 2,5 Millionen neue, hochwertige Arbeitsplätze geschaffen ... Deutschland ist zwar erst auf dem Weg dorthin. Eines ist aber bereits abzusehen: Diese Gründerszene ist das Beste, das der deutschen Wirtschaft seit langem passiert ist.

Holger Schmidt: Dot.com. Zur neuen Gründergeneration im Internet. FAZ 1.2.2000

Gründen, ein Unternehmen an die Börse bringen und nebenbei "lässig" reich werden ist also "in". Sebastian Turner, Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends Berlin, spricht sogar vom "Megatrend Entrepreneurship" (Horizont 21/2000, 18). Doch nach dem Platzen der ersten Luftblasen unter den potenziellen "Börsenstars" seit März (s. Eine kleine Geschichte der Dotcom-Manie) und dem Ende der unkritischen Dotcom- und E-Commerce-Euphorie im Post-Boo.com-Zeitalter ist die erste große Gründerwelle bereits wieder am Abflauen (vgl. Business 2.0 vom Sept. 2000 (dt. Ausgabe), 101 sowie das Interview mit Oliver Samwer).

Auch in den USA, die ja generell als gründerfreundlicher gelten als Deutschland, setzte das World Wide Web übrigens Mitte bis Ende der 90er ein verstärktes Interesse an der Selbständigkeit und der Gründung von eigenen Startups frei.

In an article in the November/December 1999 issue of Harvard Business Review, Professor William Sahlman pointed out a curious new pattern of behavior in his students. In years past Harvard Business School graduates tended to seek careers on Wall Street and in management consulting. Now, for the first time anyone can remember, they want more than anything else either to be entrepreneurs, or to work closely with entrepreneurs. Nearly 40 percent of the Harvard Business School Class of 1999 went to work either at startups or venture capital firms.

Michael Lewis: Boom or Bust. Business 2.0, 4/2000, 195

 
Links

Die zweite Gründerwelle rollt. Interview mit Oliver Samwer, Mitbegründer von Alando.de sowie von Jamba!

gründerzeit -- gründe genug. Networking-Site aus Köln mit zahlreichen gründerlinks

Gründerzeit: das Startpaket vom Wirtschaftsmagazin Impulse

Neue GründerZEIT. Lehrbriefe für Existenzgründerinnen und Existenzgründer entwickelt von IQ Consult GmbH

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