"Alternativ-Ökonomie" aus dem Netz: Schenken, Tauschen, um Aufmerksamkeit Buhlen (Von Stefan Krempl)

Aus einem Bericht über die Konferenz Monomedia (Mai 2000 in Berlin), die sich mit dem Thema "Alternativ-Ökonomie" stark beschäftigte:

Michael Goldhaber, der Vordenker der Aufmerksamkeitsökonomie, ... vertritt die Meinung, dass wir falsch liegen, wenn wir an Geld als wichtigstes Medium für Austauschprozesse denken (Das gespenstische Leben des Geldes und die Ankunft der Aufmerksamkeitsökonomie). Diese seien generell von zahlreichen Kontexten abhängig sowie nur schwer auf einen Nenner oder gar eine stabile Währungseinheit zu bringen. Allein bei der sexuellen Begegnung zwischen zwei Menschen könnten die unterschiedlichsten Dinge und Vorstellungen abseits des Konzepts "Liebe" ausgetauscht werden, angefangen von Körperflüssigkeiten über Machtansprüche bis hin zu Krankheiten.

Geld sei zwar seit Jahrhunderten einer der wichtigsten sozialen Werte, da es ideal sei für den Austausch standardisierter Güter und gesellschaftlichen Reichtum repräsentiere. Das Medium werde aber gerade in den USA, wo für Goldhaber alles nur noch in Beziehung zum Geld gesehen wird, deutlich überbewertet. Dieses Denken sei sehr gefährlich, da es ähnlich wie der Bau der Berliner Mauer oder die "Lösung" der Judenfrage alles einem Wert unterordne und dadurch eine rigide Ordnung aufzubauen versuche.

Glücklicherweise "kommen wir aber in eine Ära, in der Aufmerksamkeit wichtiger ist als Geld, um als attraktiv zu gelten." Gerade im Internet wetteifern wir daher um die Gunst unserer Mitsurfer, da über die neuen Medien Aufmerksamkeit besonders schnell und direkt erteilt oder wieder entzogen werden kann. Doch nur wenige Stars und Sternchen unter den Künstlern, Programmierern oder Startups können die knappe Ressource wirklich auf sich ziehen - die Übrigen müssen sich mit einem spärlichen Restfünkchen zufrieden geben.

Dass Werte eine äußerst subjektive Maßeinheit sind, bestätigte auch Rishab Ayer Gosh, Begründer der Theorie von den Kochtopfmärkten und Chefredakteur des ökonomische Entwicklungen im Auge behaltenden Netzmagazins First Monday. Seiner Meinung nach "verlieren wir in rein monetären Märkten die Einsicht, dass alles mit Werten versehen werden kann." Wir würden allzu leicht vergessen, dass die Menschen einen Großteil ihrer Zeit Sachen machen, für die sie nicht bezahlt werden. Gerade im Internet habe die Mehrzahl der Interaktionen wie die Beteiligung an Mailinglisten oder Diskussionsgruppen nicht-monetären Charakter. Diese Betätigungen seien allerdings trotzdem ganz klar "ökonomisch", also produktiv, und in einem wirtschaftlichen Kontext zu verstehen.

Aufrechterhalten würde die Kochtopf-Ökonomie des Internet, in die alle Beteiligten ihr Wissen und ihre Fertigkeiten einbringen und aufgrund der digitalen Reproduzierbarkeit unendlich weiter verteilen können, durch einen "balancierten Wertefluss": Die Teilnahme an den Austauschprozessen im Netz werden von den Surfern so lange als zufriedenstellend angesehen, als sich ihre Erwartungen an das Wechselspiel von Geben und Nehmen erfüllten. Der Profit für den Einzelnen übersteige in der Regel sogar seine ursprünglichen Investitionen an Zeit und Wissensweitergabe, da das gemeinschaftlich Zusammengetragene von höherem Wert sei als das individuelle Know-how.

Aus: Stefan Krempl: Welche Werte haben Daten und Netze? Telepolis 14.5.2000

 
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Die "Neue" Ökonomie im Internet. Von der Gratis- zur Aufmerksamkeitsökonomie. Site aus dem Seminar "Die digitale Gesellschaft" im WS 1999/2000

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