Gründertagebücher (Von Stefan Krempl)

In den USA kam die neue Romangattung "Gründertagebuch" spätestens 1998 in Mode, als Michael Wolff "Burn Rate" veröffentlichte, den Erlebnisbericht seines gescheiterten Portals während der ersten Boomzeit des World Wide Webs. Seitdem geben zahlreiche Bücher und Publikationen jenseits des Atlantiks Einblicke in das Gründerleben aus erster oder zweiter Hand. Po Bronson beispielsweise verfolgt in seinem Buch The Nudist on the Late Shift mehrere Silicon-Valley-Gründer - und Einwanderer auf ihrem Weg nach oben bzw. unten.

In Deutschland tauchten die ersten Gründer- bzw. Startup-Tagebücher mit einiger Verspätung im Sommer dieses Jahres in Medien wie der Welt oder der Wirtschaftswoche auf, die seit September wöchentlich auf ihrer Website die drei Gründern des Münchner Startups CyberProfit zu Wort kommen lässt.

Das Aufkommen derartiger Tagebücher ist insgesamt bereits ein Phänomen in einem Land, das seine letzte "Gründerzeit" offiziell nach der Reichsgründung zwischen 1870 und 1900 erlebt hat. Welche Aspekte werden nun von den eifrigen Internet-Startuplern in ihren Aufzeichnungen betont? Welche Ereignisse im Gründungsalltag werden von unterschiedlichen Gründern ähnlich oder genauso beschrieben?

Einig scheinen sich die Unternehmer vor allem darin zu sein, dass die Gründung ihr gesamtes bisheriges Leben über den Haufen geworfen hat. "Wenn du ein Startup gründest, musst du dein altes Leben vergessen", sagt Bernhard Gold der Wirtschaftswoche, die fortfährt: "Seine Freunde von der Uni sieht der Münchner kaum noch, er schläft wenig, wohnt fast im Büro. Aber genauso will der 27-Jährige es -- der Gründerrausch hat ihn gepackt." Nichts Neues also von den Workaholics der New Economy.

Patrick Setzer, einem der Gründer des Berliner Internet-Startups Yellout.de, kommt es ebenfalls so vor, "als wäre alle Zeit zuvor Urlaub gewesen." Im Gründertagebuch der Welt schreibt er weiter:

Wer sich zur Aufgabe gesetzt hat, eine -- seine -- Idee im Web erfolgreich umzusetzen, kann sich von seinem vorherigen Leben gänzlich verabschieden. Freizeit, Freunde, Hobbies, Partnerschaften -- alles reduziert sich auf ein Minimum.

Die Aufzeichnungen über die Geburtswehen der Startups CyberProfit und Yellout lesen sich ansonsten wie ein Kampf gegen die häufigsten Gründerprobleme, wie sie auch Ralf Lanzrath aus der Geschäftsführung des Wagniskapitalgebers Econa in seinem Vortrag Anfang Dezember vorgestellt hat: Die anfänglichen Schwierigkeiten liegen im Team -- so merken die drei CyberProfitler beispielsweise bald, dass ihnen ein Finanzjongleur fehlt --, bei der Einschätzung bzw. Umsetzung der eigenen Idee -- "Was braucht man eigentlich, um eine Idee im Internet zum Erfolg zu bringen? Das frage ich mich im Herbst 1999 mit Till Göhre, einem Freund, der gerade sein Studium und eine Ausbildung zum Microsoft-Spezialisten beendet hat" (Patrick Setzer) -- oder bei der Planung. So wird aus den 14 Tagen, die ein Softwareprogrammierer für den Prototypen des Yellout-Marktplatzes zunächst ansetzt, eine Endlosbaustelle. Der Businessplan, eigentlich "das beste Instrument, um alle Varianten durchzuspielen" (Setzer) kommt dadurch gehörig durcheinander: "So oft wir die Zahlen auch drehen, ein Sachverhalt bleibt gleich: Der Spaß wird teuer."

Auch bei der Geldsuche läuft bei Yellout nicht alles nach Plan:

Ab jetzt beginnen lustige Reisen durch die Republik -- lustig, da kein Geld für Reisen eingeplant war. Wir bekommen mittlerweile auch unpersönliche Briefe von unseren Banken. Langsam fällt auf, dass die Vielzahl an eröffneten Kreditkarten eher Debitkarten sind.

Nicht immer einfach zu meistern ist natürlich auch das Tagesgeschäft, vor allem, wenn es für Konkurrenten kaum Markteintrittsbarrieren gibt. Das müssen die CyberProfitler schon bei der ersten Finanzierungsrunde mit einem VC feststellen:

Seit Anfang Oktober stecken wir in der Akquise der ersten großen Finanzierungsrunde. Unsere Konkurrenzanalyse kennt zu diesem Zeitpunkt die großen amerikanischen Unternehmen und einige wenig ernstzunehmende deutsche Gründungen. Um so überraschender ist das Feedback eines potenziellen Investors nach unserer Präsentation: "Zu heiß", sagt er. "Eine Münchner Firma mit einem ähnlichen Businessmodel steht bereits kurz vor der Finanzierung". Die Nachricht erschreckt uns. Ein starker Konkurrent? Auch noch in München? Mit viel mehr Geld als wir? Vielleicht auch schneller, besser, größer? Wir setzen alles daran, zu erfahren, wer der Rivale ist. Wir telefonieren, recherchieren, nutzen alle Kontakte bis wir schließlich über einen Bekannten den Namen erfahren: FairAd.

Für jeden, der sich irgendwie für die Startup-Szene interessiert, sind die Tagebücher allemal spannend zu lesen. Hier reicht das Geld nicht, dort wird die Software nicht fertig -- gerade wer selbst ein Unternehmen gründen möchte, findet in den "Erlebnisberichten" viele Fehler beschrieben, die man selbst vielleicht durch eine bessere Kenntnis der anscheinend fast vorprogrammierten Abläufe vermeiden kann.

Doch wie schreibt Patrick Setzer so schön:

Viel Input, viele verschiedene Meinungen -- letztlich weiß keiner, ob unsere Idee erfolgreich werden kann oder nicht. Die einzige Chance, dies herauszufinden ist: Handeln!

 
Links

Thesenpapier von Colin Pilz und Lars Wiegand

Tagebuch eines Gründers: Patrick Setzer über die Anfangstage von Yellout.de, Teil 1. Die Welt 23.8.2000, Teil 2 vom 30.8.2000, Teil 3 vom 6.9.2000, Teil 4 vom 11.10.2000

Michael Wolff: Burn Rate (1998)

Po Bronson: Gen Equity. Descend into the valley of riches. Feast on the nourishment of hope. Start up a tech company and sell it. Auszug aus "The Nudist on the Late Shift" in Wired 7.07 (Juli 1999)

Plötzlich wahnsinnig heiss. Tagebuch der Gründer von CyberProfit alias Cash-Machine. Wirtschaftswoche (läuft seit 21.9.2000)

Brian Smith: Inside the Silicon Valley Legend. In: Themestream (Start: 21.10.2000)

Patrick McGeehan: An Executive Assesses Her Dot-com Adventure. NYT November 9, 2000

Aus dem Tagebuch eines Start-up-Gründers. Wie ein Netz-Unternehmer das Jahr 2000 erlebte. Berliner Zeitung 27.12.2000

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