Cisco und das Modell des "virtuellen Startups"
Müssen alle Unternehmen Startups werden?
(Von Stefan Krempl)

Verkehrte Welt: Während Startups oft gar nicht schnell genug ganz groß rauskommen können und in aller Welt präsent sein wollen, spalten sich Konzerne wie AT&T oder WorldCom freiwillig auf, um agil zu bleiben. Wie groß oder klein muss ein Unternehmen sein, um erfolgreich zu sein? Können bzw. müssen die Kleinen mehr von den Großen oder die Unternehmenstanker mehr von den Startups lernen?

Die richtige Größe hängt von vielem ab. Von der Branche, der Management-Leistung, betriebswirtschaftlichen Kennziffern, den Menschen.

Gabriele Fischer im Editorial von brand eins 9/2000, 3

Zahlreiche Startupmanager erhalten vom Markt momentan die Lektion, dass Schnelligkeit und Wendigkeit allein kein Patentrezept sind, um ein konkurrenzfähiges Unternehmen aufzubauen und ein Geschäftsmodell profitabel zu machen. Das Geld ist bei vielen knapp -- da ist das Zusammengehen mit einem besser finanziell gepolsterten Partner oft der einzige Weg, um die Börseneiszeit zu überstehen. Der E-Shop MyToys.de hat sich daher beispielsweise mit dem Otto-Versand und EM-TV zusammengetan, Bertelsmann ist bei Webmiles eingestiegen, Freenet hat sich bei der Berliner N-Tree AG, die das Portal MeOMe betreibt, eingekauft.

Doch "groß ist nicht grundsätzlich besser" (Fischer, a.a.O.). Entscheidungswege werden länger, Innovationen fallen schwerer, der Unternehmergeist geht leichter verloren.

Es gibt amerikanische Studien, die einen Zusammenhang zwischen hohem Übergewicht und dem Verlust eines Teils des Seh- und Hörvermögens beschreiben.

Wolf Lotter: Elefanten im Galopp. brand eins 9/2000, 83-88, hier 84

Jürgen Kluge, Jürgen Meffert und Lothar Stein beschreiben im McKinsey Quarterly, 2/2000 die Notwendigkeit für größere Unternehmen, sich durch die Bildung interner kleiner Einheiten ("virtueller Startups") agil zu halten.

Als Beispiel für eine Firma, die trotz eines enormen Wachstums ihre "Startup-Kultur" über Jahre hinweg bewahrt hat, wird oft Cisco genannt. Das Magazin Wired hat der Firma 1997 einen umfangreichen Beitrag gewidmet, in dem beschrieben wird, was das Unternehmen, das ursprünglich nur Internet-Router hergestellt hat, inzwischen aber das gesamte Netzwerkgeschäft von breitbandigen Zugangstechniken bis zu Servern und Software abwickelt, lebendig gehalten hat. Kernfaktoren, die der Autor, Joe Flower, herausarbeitet, sind der Aufkauf von Startups, die als eigene Unternehmensbereiche weitergeführt werden, sowie der Erhalt eines allgemeinen kreativen Chaos und kurzer Entscheidungswege. Dazu ein wenig der im Silicon Valley eh gern gepflegten Paranoia...

The speed of … growth overpowers everything else in the Cisco culture. … If Cisco is to build the engines of the network, it must be as protean as the network itself. It buys companies not just because the cash is there in its spreadsheet and the heft is there in its erupting stock, but because buying companies built on different technologies is the only way to change rapidly. It takes time to develop technologies, to put together teams that understand them and facilities to work with them - too much time. If you want to change quickly, you've got to buy the people who are already doing the new thing. It's not a matter of "buying out the competition," as one business article after another has framed it. Cisco is buying its future. … "The structure of Cisco," says senior VP Don Listwin, "is directed chaos. It's kind of like the Internet - people are gluing stuff on all over the place." … "I don't have to get permission on every little thing," says Skadden, "There's no time for it." Adds product manager Keith Travis: "When there's a problem, it's put more as a question to the team - a challenge, rather than dictating the task." Both execs and worker bees claim that Cisco has an "open door" policy, also known as "bust into people's offices and challenge them."

Konzerne gerade aus der Telekommunikationsindustrie in den USA imitieren inzwischen das Modell des "virtuellen Startups" und folgen dem "Megatrend zur kleinen Einheit", den der Ex-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (vgl. Wollsocken und Aktien, c't 4/2000, 54) ausgemacht hat. AT&T überraschte beispielsweise im Herbst mit der Entscheidung, sich in einzelne Unternehmen -- zuständig für die Bereiche Breitband, Wireless, Verbraucherdienste und Firmenangebote -- aufzusplitten. Der Geschäftsführer des Konzerns, Michael Armstrong, begründete die Teilung mit dem Hinweis, damit jeder Einheit mehr Freiraum für "entrepreneurial fashion" zu geben (vgl. USA Today, 27.10.2000). Wenige Tage später kündigte auch Konkurrent WorldCom an, dem Beispiel von AT&T zu folgen und sich selbst zu zerschlagen.

Die beiden Fälle sind nicht nur vor dem Hintergrund der vom US-Bundesjustizministerium angeordneten Aufteilung Microsofts interessant. Kritiker werfen dem Softwarehaus seit langem vor, sich auf seinem Monopol im Bereich der PC-Betriebssysteme auszuruhen. Sie sehen keinen Grund für Microsoft, etwas zu verändern an seinen Strategien und empfehlen dem Unternehmen seit langem, sich ebenfalls in mehrere Konzernteile zu zerlegen (vgl. Interview mit Peter Schwartz, Chef des Global Business Network in brand eins 9/2000, 112).

Nicht zu vergessen ist bei AT&T auch, dass die Firma -- mit dem Segen der amerikanischen Regierung -- einst eines der stärksten Monopole der Welt war, bevor das US-Justizministerium 1982 die 1984 begonnene Aufteilung von "Ma Bell" in acht "Baby Bells" (lokale Telefongesellschaften) anordnete. Im Jahr 1996 war das Unternehmen, das vor allem US-weite Telefonate abwickelte, schon wieder auf eine schwer handhabbare Größe und einen Marktwert von 85 Milliarden Dollar gewachsen. Also machte AT&T wiederum eine Teilung durch und splittete sich in das Mutterhaus mit dem Schwerpunkt Telefon- und Datenverbindungen, den Konzernteil NCR sowie Lucent Technologies (Techniken für Netzwerkinfrastrukturen) auf. Die im Oktober 2000 verordnete Schlankheitskur ist also die dritte in der Geschichte des Unternehmens. "Die Methode dazu heißt: Erfinde dich selbst, und zerlege dich, bevor es andere tun" (brand eins 9/2000, 84).

 
Links

Hausarbeit von Andrea Disterheft und Jens Jannasch

Joe Flower: The Cisco Mantra. Wired 5.03 (März 1997)

Jürgen Kluge, Jürgen Meffert und Lothar Stein: The German road to innovation. Germany has an entrepreneurship gap. A new culture is emerging to close it. The McKinsey Quarterly, 2000 Number 2: Europe, pp. 98–105 (kostenlose Registrierung erforderlich)

Schwerpunkt groß/klein aus brand eins 9/00

Seth Schiesel: AT&T Considers a Split. NYT 23.10.2000

WorldCom splittet sich auf. Heise Newsticker 2.11.2000

Eric Lai, Reuters: Upstarts set to steal Cisco lead in next-gen market. 06 February 2001

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