Mythos Online-Lernen

Stefan Krempl

E2-Business (Educational E-Business)

Die Größen der Computerindustrie von Bill Gates (Microsoft) über John Chambers (Cisco) bis zu Scott McNealy (Sun Microsystems) sind sich darin einig, dass das Internet das Bildungswesen revolutionieren wird.

Teleteaching und Online-Learning gelten in der Wirtschaft, die den potentiell milliardenschweren Ausbildungsmarkt endlich vollständig kommerzialisieren will, als die nächste große Welle im E-Business.

Der Bildungssektor ist die größte Industrie in der Informationsgesellschaft.

Lucio Stanca, Vorstandsvorsitzender von IBM Europe, Middle East and Africa, auf der Online Educa 1999

The corporate e-learning market will nearly double year after year, predicted an IDC report ..., rising from $550 million in 1998 to $11.4 billion in 2003.

Sandra Evans in der Washington Post vom 15.5.2000

Doch noch ist das E2-Business (Educational-E-Business) ein sich gerade erst entwickelnder Markt mit vielen Klippen. Einen viel beachteten "Blue-Chip-Wert" hat die junge E2-Industrie allerdings bereits hervorgebracht: Die Apollo-Group, das Mutterunternehmen der University of Phoenix.


 Widerstände gegen die Virtualisierung

Trotz der virtuellen Betriebsamkeit im Wirtschaftssektor häufen sich in den Universitäten die Stimmen, die das vom Internet angetriebene Revival der Fernstudiengänge ablehnen und die Sinnfrage stellen. Seit 1998 fast die gesamte Belegschaft der University of Washington in Seattle gegen die Digitalisierungpläne des Gouverneurs des Bundesstaats Washington mobil gemacht hatte, war es 1999 auch an zahlreichen anderen Hochschulen wie der University of California in Los Angeles, der York University in Toronto oder der University of Chicago Proteste gegen zu hohe Investitionen in virtuelle Lehrangebote laut geworden (vgl. Chaudhry 1999).

If a course is being developed for sale, what we have is the content being determined by the market, rather than the principles of pedagogy... What forces will shape the content of education: scholars or some actor playing me?

David Noble in der New York Times vom 27.5.1998

Die Kritiker führen vor allem studentische Belange an. So wird befürchtet, dass Online-Studenten einen "Abschluß mit einer Fußnote" bekommen und eine Zweiklassen-Gesellschaft von Studenten entstehen könnte. Selbst eine Richterin vom amerikanischen Supreme Court, Ruth Bader, hatte sich im Herbst 1999 in die Debatte eingeschaltet und das Internet als "unnützes Lehrwerkzeug" abgestempelt, wenn es als Ersatz für den Unterricht im Klassenzimmer gesehen würde.

US-Schauprojekte wie die California Virtual University bzw. die Western Governors University sind gescheitert bzw. haben ein Redesign als "Bildungs-Portal" erfahren.

Ellen Wagner (ursprüngliche Protagonistin der WGU): Traditionelle Studenten, die Motivation von außen brauchen oder gar philosophische Ambitionen haben, sind an "normalen" Unis besser aufgehoben.


 Bildungs-Portale bieten Studentenfutter

Da die Masche, ein Einfallstor ins Web zu allgemeinen oder spezifischen Themen zu bieten, nach wie vor zu den gängigsten E-Business-Strategien gehört, finden sich auch für den Ausbildungssektor immer mehr Player mit Portal-Ambitionen aus dem privatwirtschaftlichen oder staatlichen Umfeld. Mit dem konsequentesten Marketing macht sich das Startup Hungry Minds aus San Francisco auf dem neuen Markt breit.

Wir wollen das Yahoo! fürs Online-Lernen sein.

David Noble in der New York Times vom 27.5.1998

Andere Anbieter wie der Verlag Ziff-Davis mit seinem SmartPlanet sind nicht minder ergzeizig und wollen sich als Communities für Lehrer und Wissensfreaks etablieren. Und Mark Hall, Mitbegründer von Ed-X träumt davon, mit seinem Kurslisting zum "Amazon.com des Fernstudiums" heranzureifen.

Andere Portale rund ums E2-Business versuchen die Konsum- und Informationsbedürfnisse der Studenten abzudecken, Communities aufzubauen und dabei Dollars zu verdienen.

Vier Milliarden Dollar, schätzt Jupiter Communications, werden Studis 2002 online ausgeben.

Angebote wie jetzt auch in Deutschland Campus2day.de bieten News aus dem städtischen Studentenleben, Eventkalender, Email-listen oder Diskussionsforen und hoffen darauf, dass Werber die interessante Zielgruppe mit ihren suggestiven Botschaften umschmeicheln wollen und die Studis ihren Konsumbedarfs über die eigenen E-Commerce-Angebote decken.

Ganz im Zeichen des Networking steht auch E-Fellows.net, wo Studenten Recherchemöglichkeiten sowie Kooperations-, Stipendiums- oder Praktikumsbörsen geboten werden.

Werbung für www.e-fellows.net (Studieren mit Links)


Der Blick in die Glaskugel

Die Weisen der Delphi-Studie von 1998, für die über 2.500 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft in die Glaskugel blicken durften, gehen davon aus, dass im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends virtuelle Weltuniversitäten weit verbreitet sein werden. Systeme für virtuelle Prüfungen über das Netz sollen sich bis dahin durchsetzen, für die Studierenden soll das selbstgesteuerte und netzgestützte Lernen zur Selbstverständlichkeit werden.

Die großen Hoffnungen auf das internetbasierte Teleteaching haben sich bisher allerdings kaum erfüllt. Es hat sich als fragwürdig erwiesen, ob Hyperlearning allein Wissenselemente erschließen kann, und vor allem, ob Wissensbausteine tatsächlich "just in time" den "Wissensarbeiter" erreichen und von ihm in echtes Know-how umgesetzt werden können.

Vielleicht wird für die Masse der Studenten daher trotz drahtloser, ubiquitärer Internetverbindungen vieles beim Alten bleiben und sich der Hochschulalltag auf dem Campus sowie der Unterricht nur wenig verändern. Online-Lernen wird eventuell den normalen Präsenzunterricht ergänzen, erst am Arbeitsplatz einsetzen oder ein Fall für die Masse sein, während sich eine Elite von Studenten und Lernenden nach wie vor die Zeit und das Geld für das Lauschen von und die Diskussion über Lehrvorträge(n) und das wahrhaft interaktive Rollenspiel vor Ort nehmen wird.

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