Mythos Online-Lernen

Stefan Krempl

 

Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung: Kommunikation in der Informationsgesellschaft:
"Vom digitalen Buch zum computergestützten Lernen"
an der Universität Leipzig

Virtualisierung erzeugt (noch) Aufmerksamkeit

Online-Lernen, Tele-Teaching, Tele-Learning, Web-basiertes Training (WBT) oder wie immer man den Versuch, das Internet in ein Auditorium bzw. einen Seminarsaal zu verwandeln, sind in aller Munde. Sie sind ein Thema, mit dem sich durchaus Aufmerksamkeit erzeugen lässt.

 

  • Der Software Milliardär Michael Saylor (MicroStrategy) verkündet im März, 100 Millionen Dollar für den Aufbau einer kostenlosen Online-Universität spenden zu wollen. Seine Vision: "Bill Clinton teaching politics, Warren Buffett lecturing on investing and Steven Spielberg demonstrating filmmaking - all in 30-hour video packages, with questions anticipated, and answered, in advance." (vgl. New York Times vom 16.3.2000)


  • Mit einem fast genauso ehrgeizigen und generösen Projekt kann der bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair Mitte Mai aufwarten, als er den Startschuss für die Virtuelle Hochschule Bayern (http://www.vhb.org/) gibt. In zunächst fünf Fächergruppen sollen den rund 200 000 Studenten im Freistaat die besten multimedialen Lehrangebote aller Bayerischen Hochschulen und Fachhochschulen zur Verfügung stehen. Zunächst werden im Internet rund 50 Kurse in Informatik, Ingenieurwissenschaften, Medizin, Wirtschaftswissenschaften und Schlüsselqualifikationen angeboten (vgl. Heise Newsticker vom 12.05.2000)
  • Online-Lernen als Medien-"Renner": "lern schnell gut" (c’t 23/1999): fast 10 Seiten klären auf über "Kurse, Kosten, Konditionen" der "Weiterbildung im Internet". Acht Seiten sind Screen Business Online im Februar 2000 Möglichkeiten zur "Weiter Bildung" wert. Tenor des Artikels: "Lernen wird in der Informations- und Wissensgesellschaft zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor", weiter geht’s mit den Schlagworten "Learning on demand" und "just in time".

 


 Der Mythos: Lernen per Klick

Mit dem Schlüsselbegriff des Telelernens verbindet sich weit mehr als technischer Fortschritt. Telelernen kann zum Inbegriff einer Vision für die Wissens- und Lerngesellschaft des 21. Jahrhunderts werden.

Heinz Mandl (1997)

Ohne viel Aufwand an Phantasie dürfte nachvollziehbar sein, daß mit der Einführung interaktiver multimedialer Lernsysteme eine grundlegende Reform unseres heutigen Bildungswesens (und zwar in allen Bereichen der Schule, der beruflichen Bildung und der universitären Bildung) sowie von Forschung und Entwicklung verbunden ist.

Wolfgang Müller-Michaelis (1996, 71)

 

Interaktive Lernmedien wie Computer Based Training (CBT), Web Based Training (WBT) und vernetzte Telelearning-Plattformen verändern Bildung grundlegend: Selbst gesteuertes Lernen hinsichtlich Interessen und betrieblichen Erfordernissen sowie die freie Wahl von Zeit, Ort und Dauer sind heute prinzipiell möglich -- Lernen auf Vorrat dagegen scheint nur noch bedingt akzeptabel.

Angelika Eckert (2000, 41)

Das ist eine schöne "Erzählung", eine immer wieder gern vorgenommene Strukturierung der Wirklichkeit nach den eigenen Wünschen.

Prinzipiell lassen sich im virtuellen Kommunikationsraum des Netzes tatsächlich zahlreiche Funktionen einer klassischen Universität abbilden. Lehre und Lernen könnten so theoretisch durch die Ausnutzung der "digitalen Verwertungskette" effizienter und langfristig kostengünstiger durchgeführt werden. Der Cyberspace könnte als hypermedial verlinkte Lernumgebung dienen, die einen weitgehend selbst- und assoziationsgesteuerten Wissenserwerb unter Berücksichtigung konstruktivistischer Lernmethoden erlaubt.

Doch bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sich diese Hoffnungen erfüllen und dass das Internet das Teleteaching von seinem Makel der "Ortlosigkeit" und "Unsinnlichkeit" befreit. Auf dem globalen Bildungsmarkt, den das Internet öffnet, geht es eher um das Abspulen von Videomaterialien für "Life-Long-Learner" in den Mittelklassen von Unternehmen. Die Revolution der Lehre steht somit noch aus, auch wenn die Virtualisierung und Kommerzialisierung der Hochschulen in vollem Gange ist: "Bildungsprovider" schließen sich zu internationalen Partnerschaften zusammen, themenspezifische "Bildungsportale" bilden sich analog zu den reichweitenstarken, Nachrichten, Suchfunktionen oder Shopping-Möglichkeiten bietenden Allround-Dienstleistern wie Yahoo! oder Altavista heraus.


Die These:

Online-Lernen wird die Vermittlung von Wissen an den Universitäten mittelfristig kaum verändern. Seinen größten Einfluss wird das Internet im kommerziellen Weiterbildungsmarkt haben.

Der Komplex "Online-Bildung" vollzieht damit Entwicklungen im E-Commerce nach: B2C (Business-to-Consumer bzw. Universität an Student) ist ein dorniges Geschäft. Im Bereich B2B (Business-to-Business bzw. Bildungsprovider an Unternehmens-Fortbilder) werden die eigentlichen Gewinne gemacht.

[start] [verheißungen] [e2-business] [literatur]