Von Luftblasen zum Burnout.
Kritik an der Dotcom-Manie
(Von Stefan Krempl)

Startups, Startups, Startups -- angesichts der Omnipräsenz der Gründer machten in San Francisco schon während der Höhenflüge der Börse Kritiker der Dotcom-Manie ihrem Unwohlsein Luft. Als eine der ersten Autorinnen hatte die für ihre kaum übersetzbaren Attacken gegen die "Cyber-Libertarians" bekannte Paulina Borsook in einem Aufsehen erregenden Artikel in Salon Ende Oktober 1999 die "Dot-Com-Invasion" als den Untergang der einst für Flower-Power stehenden und in ihrem Kulturleben mit europäischen Metropolen zumindest vergleichbaren City beschrieben.

San Francisco has become a city of 22-year-old Barbie-bunny marketing girls who don't realize the Web is not the Internet, and guys who have come to San Francisco because the dot-com version of Dutch tulip-mania offers better odds of instant wealth than making partner at Merrill Lynch. The result is a city whose unique history and sensibility is being swamped by twerps with 'tude.

Paulina Borsook: How the Internet Ruined San Francisco

Einen weiteren Angriff auf die Dotcom-Manie startete im März ein selbst bei einer Technologiefirma im lange Zeit als "Startup-freie-Zone" geltenden Mission-Viertel arbeitender Freak mit seiner Kampagne BlowTheDotOutYourAss.com. Der Link auf seine puristisch gehaltenen Homepage, auf der sich groß Slogans aufbauen wie "ButIDon'tNeedMyToothpasteDelivered.com", "AllThePornYouCanEat.com" oder "AnythingIFoundInMyGarageForSale.com" kursierte zunächst über einige Insider-Mailinglisten.

Als Plakate mit den scharfen Sprüchen, die gezielt die Sinnlosigkeit so mancher Dotcom-Unternehmung auf die Schippe nehmen, zusammen mit durchgestrichenen Punktzeichen auch im Realspace unweit der von der Wired-Redaktion erst Anfang der 1990er zum hippen Viertel für Startups erklärten 3rd-Street südlich der Market Street auftauchten, brachte Wired News eine Geschichte über die "KillTheDot-Aktivisten" aus dem Cyber-Untergrund, mit denen der unter dem Pseudonym Sam Lowry -- allseits bekannt aus dem Monty Python Klassiker Brazil -- Initiator der Site endgültig berühmt wurde.

Seitdem hat sich die Dotcom-Kritik längst in andere Städten ausgebreitet. Im Silicon Valley haben einzelne Stadtverwaltungen im Herbst sogar Verordnungen erlassen, die das Vermieten von Gewerbeflächen an Internet-Startups untersagen (vgl. NZZ 19.1.2001). Bleibt nur noch die Garage der Eltern als Gründervilla übrig.

In Berlin finden sich seit Juli jeden letzten Donnerstag im Monat Aktivisten aus der Berliner Anti-Dotcom-Szene im "_lab" neben dem WMF-Klub ein. Der Last Tuesday sieht sich als direkte Gegenveranstaltung zum First Tuesday, an dem sich jeden Monats sich in über 40 Ländern auf drei Kontinenten Geldgeber, Berater und Existenzgründer rund um den Internetkommerz treffen, um bei einem Schluck Wein in den schicksten Locations Businesspläne zu besprechen und Visitenkarten auszutauschen. Beim Last Tuesday treffen sich dagegen Programmierer, Webdesigner oder klassische "Netzsklaven", wie Co-Initiator Pit Schultz sagt. Leute, die schon lange "über die Online-Euphorie und den anschließenden Net-Lag hinweg" seien, sich aber dennoch weiterhin ihre Gedanken über neue Vernetzungsformen machen wollen.

"Burn, Venture Capital, burn"

Die Aversion gegen die Startup-Branche ist aber nach wie vor nirgends größer als in San Francisco. Kein Wunder, haben sich doch dort mehr als 1000 Multimedia-Unternehmen mit rund 40 000 Angestellten in den letzten fünf Jahren niedergelassen (vgl. ebd.). Die Folgen sind steigende Mietpreisen in ehemals heruntergekommenen Industrievierteln sowie eine allgemeine Versnobbung, Yettiesierung (Yettie = Young entrepreneurial technocrat) und Yuppiesierung. Galerien, Theater oder andere Kunstprojekte ziehen genauso weg wie zahlreiche alte Mieter, die beim Preisanstieg nicht mehr mithalten können. Widerstandsbewegungen wie das "Mission Yuppie Eradication Project" rufen daher inzwischen offen zur Zerstörung von Autos der Marken Lexus, Porsche, Jaguar oder Jeep auf und organisieren Bürgerprotestversammlungen.

Im letzten Jahr überschritt im Santa Clara County rund um San Jose die durchschnittliche Kaufsumme für ein Einfamilienhaus die 500.000-Dollar-Marke. Viele Arbeitnehmer müssen daher auf billigere Wohngebiete ausweichen und nicht selten zwei Stunden Anfahrtsweg täglich in Kauf nehmen. Kaum besser sieht die Lage in San Francisco aus. In der Metropole am Pazifik sind einfache Zweizimmerwohnungen nicht unter 2.000 US-Dollar zu haben. … Dabei sind die Probleme des Technologie-Dorados hausgemacht: Zwischen 1992 und 1999 hat die Valley-Region 175.000 neue Jobs, aber nur 54.600 neue Wohnungseinheiten geschaffen.

Jochen A. Siegle/Silvia Kling: Opfer des eigenen Erfolgs. Internet World 12/2000, 68f.

Gründer ohne Erfahrung

Abgesehen von dem Unmut über die Nebenfolgen der Dotcom-Manie in Städten wie San Francisco müssen sich Startup-Unternehmer spätestens seit den Kursstürzen an den Technologie- und "Wachstums"-Börsen auch allgemeine Kritik an ihrem Geschäftsgebaren gefallen lassen. Der Tenor bestand dabei in der Vermutung, dass bei zahlreichen Startups die Geschäftsidee allein darin bestanden habe, an die Börse zu gehen. Auch die Banken kommen nicht ungeschoren davon: Statt Erwartungen zu dämpfen und Bilanzen zu prüfen, seien Emissionshäuser geradezu darauf erpicht gewesen, alles an die Börse zu bringen, was dorthin drängte (vgl. FTD 22.1.01, 29).

Das Scheitern vieler Dotcoms und zahlreicher Neuemissionen liegt laut Stephan Krümmer, Managing Director der Investmentbank Rothschild GmbH aber an einer Kardinalschwäche: "dem wenig erfahrenen und qualifizierten Management". Führungsteams seien kaum in der Lage gewesen, ihren operativen Aufgaben nachzukommen, hätten aber gleichzeitig geglaubt, "in der New Economy seien die Grundsätze ertragreichen Wirtschaftens außer Kraft gesetzt" (ebd.).

"Gründungserfahrung bleibt Mangelware", glauben auch Stefan Jugel und Georg Kiefer vom "Venture Catalysten" area5F:

Eine Studie anhand von 315 Businessplänen, die im Zeitraum von Juni bis September in unserem Haus eingegangen sind, zeigt typische Konzeptfehler: 63 Prozent der Vorhaben existierten bereits in ähnlicher Form im anvisierten Markt und bieten keinen klaren Wettbewerbsvorteil. Die Gewinnschwelle wird frühestens in vier Jahren oder später erreicht. Bei Umsatz- und Ergebnisentwicklung walten mehr Fantasie und Optimismus als anhand von Zielen, Maßnahmen und Personaleinsatz nachvollziehbare unternehmerische Planung. Es gibt eine ganze Reihe klassischer Aufmerker die belegen, dass sich Gründer überhaupt nicht an den gängigsten Erwartungen der VCs orientieren: Der Kundennutzen ist nicht transparent, das Vorhaben birgt keine Exitstory, das ganze Thema ist von der Branche, der Renditeerwartung oder dem Geschäftsmodell an sich kein VC-Thema. Lässt dann das Team durch Einbindung in andere Projekte mangelndes Engagement zeigen oder wurde das Vorhaben bereits einer Vielzahl von VCs ohne Erfolg vorgestellt, dann ist dieses Startup durchgefallen.

In: Financial Times Deutschland, 27.11.2000

 
Links

Thesenpapier von Björn Bachmann und Jens Henkel

Net Slaves -- "Horror Stories of Working the Web"

Blowthedotoutyourass.com -- "ButIDon'tNeedMyToothpasteDelivered.com"

Last Tuesday -- "Burn, Venture Capital, burn!"

NemwaX: Neuer Markt waste all share Index. Die schlechtesten Firmen des Neuen Marktes

Paulina Borsook: How the Internet ruined San Francisco. Salon.com Oct. 27, 1999

Stefan Krempl: Eurotrash: Networking und Eurobashing in SanFrancisco.com. Aber es wächst auch die Kritik: BlowTheDotOutYourAss.com. Telepolis 03.04.2000

Stefan Krempl: Berliner Protest-Tag der «Netzsklaven». Berliner Morgenpost 31. Oktober 2000

NetSlaves: Dot.com.edy. Wired News 15.11.2000

Salon Technology staff: A second chance for the dot-com economy? Salon Nov. 15, 2000

Christa Piotrowski: Wer hat Angst vor Martini-Trinkern? Opposition gegen Dotcom-Unternehmen in San Francisco. NZZ 19.1.2000

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