Das System Bill Gates
Vortrag auf dem IMD-Kongreß MachtFragen der Informationsgesellschaft
von Stefan Krempl
Was macht die Macht Bill Gates aus? Ist es das Geld (das fast vollkommen in Aktien steckt)? Ist es die Herrschaft über die Desktops? Ist es das hintergründige Charisma des Über-Bills?
Warum ist der Mann einer der am meisten geliebten und am meisten gehaßten Menschen? Warum ist es so schwer, eine neutrale Meinung gegenüber Bill Gates zu finden? Ein Mann mit vielen Gesichtern, der viele Rätsel aufgibt, und in zahlreiche Rollen schlüpft.
Es gibt keine Umfrage über den Bekanntheitsgrad Bill Gates', zumindest habe ich keine gefunden. Ich bin mir allerdings sicher, daß mehr Leute mit dem Namen Bill Gates etwas verbinden als mit dem seines Vornamensvetters aus der Politik. Bill, den nicht nur seine Mitarbeiter, sondern alle Mitglieder der Menschheit und des Marktes vertrauensvoll mit dem Vornamen anreden dürfen, gehört längst zur globalen Prominenz und zu den Weltstars, genauso wie seine Kollegen aus Rock und Pop -- auf deren Glanz er, wie beim Start der Werbekampagne für Windows 95, auch gerne einmal zurückgreift --, aus Film und Fernsehen, und aus der Politik sowieso. Bill Gates ist "eine kulturelle Ikone", wie Michael Kinsley richtig in der Time-Jubiläumsausgabe zum 75jährigen Bestehen des Magazins feststellt, auch wenn ich den von ihm vorgenommenen Vergleich des erfolgreichen, aber nicht unbedingt gutaussehenden Unternehmers mit der "wunderschönen Prinzessin, die mit ihrem Lover bei einem Autounfall in Paris starb" nicht besonders treffend finde. Zudem würde die Prominenzhuldigung aus jedem anderen Munde nicht gar so "be-rufen" klingen, wie aus dem des Slate-Frontmannes Kinsley, der als Herausgeber des politisch ambitionierten Webzines Microsofts immerhin auf der Gehaltsliste Gates' steht. Vielleicht läßt sich in diesem Zusammenhang aber ja bereits ein erster Anhaltspunkt für das System Bill Gates ausmachen.
Wie kann der Manager eines mit rund 25 000 Mitarbeitern eher als "mittelständisch" zu bezeichnenden Unternehmens derart berühmt werden? Ein Mann, der sich gerne als ewig-jungenhafter Computerfreak, als Nerd, gibt, der nichts weiter machen will, als gute Software zu schreiben und zu verkaufen? Vom Harvard-Aussteiger hat es das Computerkid zum Milliardär, zum reichsten Mann der Welt gebracht, der nun in einem High-Tech-Märchenschloß am Rande eines tiefen Sees seine raren Freizeitstunden mit seiner holden Frau und dem kleinen Töchterlein verbringt. Eine märchenhafte Geschichte, wie sie uns nur in Amerika im Informationszeitalter möglich scheint, in einer Gesellschaft, deren wirtschaftliches und soziales Leben in hohem Maße auf High-Tech, Computer und Kommunikationsnetze gebaut ist, einer Gesellschaft, in der die Bündelung von Information zur begehrtesten Dienstleistung und Ware wird und in Form von Software als digitales Gold gilt.
Und Software ist das Kerngeschäft der von Gates 1975 zusammen
mit seinem Studienkollegen Paul Allen gegründeten Firma Microsoft.
Ihr Produkt "Windows" stellt die Arbeitsgrundlage fast aller Personal
Computer dar; 1997 hatten es 86 Prozent aller Nutzer dieser Geräte
auf ihren Desktops (vgl. Business Week vom 19.1.98). Doch Microsoft
stellt längst nicht mehr -- wie in alten DOS-Tagen -- nur Betriebssysteme
her, sondern deckt fast alle Anwendungsbereiche eines Computers
sehr erfolgreich ab. Die Office-Reihe ist ebenfalls ein Verkaufsschlager
und hat sich in 87 Prozent aller Büros und Heime eingenistet.
Daneben bietet Microsoft Lösungen sowohl für den professionellen
Unternehmensbereich (Windows NT, BackOffice, SQL-Server) sowie
mit Windows CE für Microcomputing an und zielt damit auf den Ersatz
der von IBM, Oracle, Novell oder Sun beherrschten Welt der Mainframes
und Workstations bzw. auf die Eroberung des Marktes der digitalen
Kleinstgeräte vom persönlichen Assistenten über die Set-Top-Boxen
für interaktives Fernsehen bis zum Auto-Computer ab. Generell
ist MS dabei auf das Internet ausgerichtet -- "hardcore about
the Internet", wie es im Gates-Slang heißt -- und versucht mit
Navigations-Software und -hilfen, Access-Technologie und inhaltlichen
Angeboten ("Content") die Herrschaft über die Desktops auch auf
deren virtuelle Fortsetzung, den Cyberspace, auszudehnen.
Erfolg schafft auch Neider (bzw. Nader). Bill Gates gehört nicht
nur zu den bekanntesten und beliebtesten Unternehmern, sondern
auch zu den bestgehaßten. So kann man im Usenet nicht nur in alt.fan.bill-gates
seinem Idol die Referenz erweisen, sondern auch in alt.destroy.microsoft
seiner Firma die Leviten lesen. Hunderte Haß-Seiten (z.B. www.enemy.org/ -- einen guten ersten Überblick bietet "The UltimateBill Gates"-Site) werden bereits seit längerem im Web mit viel Sorgfalt
gepflegt, auf denen sich der von Microsoft Enttäuschte schreckliche
Gatesfratzen sowie wildeste Gerüchte und Verschwörungstheorien
auf seinen Bildschirm laden kann. Und welchem Firmenchef wurde
sonst schon die Ehre zuteil, von Noel Godin eingeseift zu werden?
Ziel von meist vortrefflichen Satiren sind die Machenschaften
des Softwaremoguls ebenfalls längst geworden. Im "Secret Diary of Bill Gates" lassen sich beispielsweise geschäftliche Ereignisse der Woche
"aus erster Hand" und aktuell nachlesen: "It's great to see that
Sega have announced Dreamcast, their supercool new games console",
freut sich der doppelte Gates dort etwa am 27. Mai. "It's not
available until November 20 -- but pre-announcements always worked
for me", wird dort weiter aus dem Nähkästchen geplaudert. "It's
the first home entertainment system to be designed for use with
the Windows CE operating system. Supercool!", entfährt es dem
Tagebuchschreiber, der sich ob all des Erfolgs selber loben muß:
"I'm just such a great guy -- now even pimply geek game kids can
have their own Windows OS!" Übers Wochenende fließen oft auch
einige Intima in die Aufzeichnungen ein: So bleiben vor dem eifrigen
Leser Mitte Januar auch die kleinen Eheschwierigkeiten nicht geheim:
"Man, Melinda is no fun at the moment." Was Gates II an die Vorteile
der Männerwelt erinnert. Punkt 5: "All your orgasms are real.
(You didn't think I'd notice, hu Melinda?)"
Zur Aufklärung über Microsoft wollen auch diverse Parodieseiten
der Homepage des Unternehmens beitragen. "Microshaft" lädt zum Download des Internet Exploders und zum Testen zahlreicher
"großartiger Spiele und Aktivitäten" wie etwa dem Billagotchi
ein. Auf "Mightgosoft" verteidigt sich Gill Wates gegenüber seinen
Feinden aus Regierung und Industrie und bei "Microsoff" ist alles über die Ausbreitung des Imperiums unter dem Motto
"where do we want to go today" zu erfahren: "Internet Exploiter
China Coming... Microsoff Expands to Brazil!" Keine Frage, daß
auf allen Parodieseiten das Corporate Design der Stammfirma bis
ins Detail befolgt wird. Auch über Mailinglisten verbreitet sich
die "reine Wahrheit" über weltbewegende, vom Redmonder Firmencampus
ausgehende Ereignisse oft rasend schnell. "Microsoft kauft die Regierung" oder "Weltweites Schweigen nach Atombombentest Microsofts" lauten
dort die Schlagzeilen.
Aber bleiben wir bei der Realität, auch wenn die Parodien oft mehr über die Funktionsmechanismen des Microsoft-Prinzips sagen als so manche offizielle Pressemitteilung. Fakt ist, daß die Monopolstellung Microsofts bei PC-Betriebssystemen sowie ihre Ausweitung auf mit ihr in der digitalen Wertschöpfungskette verbundene Sektoren mit Hilfe von umstrittenen Praktiken von immer mehr Marktbeobachtern als hinderlich für die weitere Entwicklung der wichtigsten Industrien der Informationsgesellschaft angesehen wird. Das Schreckbild einer von Microsoft beherrschten Medien- und Computerwelt zeichnen vor allem der Verbraucheranwalt Ralph Nader und der Ökonom James Love, die im Herbst 1997 eine weitbeachtete Konferenz zur "Einschätzung" des Unternehmens in Washington durchführten. Auf einem politischen Forum des neoliberalen Cato-Instituts am 20.4.1998 versuchten die beiden Kämpen ihre Zuhörer von der dominanten Stellung des sich ausdehnenden Softwareunternehmens zu überzeugen: "MS wants to use a core monopoly in software operating systems to dominate an enormous range of new and important areas of electronic commerce, and MS wants to monopolize the software used to navigate the Internet and to navigate the next generation of television and multimedia programs... Microsoft wants to dominate, influence or control the content itself, not just the transmission... taking consumers 'where Microsoft wants them to go today.'"
Glaubt man Nader und Love, so ist die "Schlacht um die Zukunft
des Cyberspace" (Business Week vom 1.6.98) bereits so gut wie
entschieden -- zugunsten des Kraken Microsoft natürlich. Das amerikanische
Justizministerium fühlt sich deswegen seit Mitte vergangenen Jahres
gezwungen, in das Marktgeschehen einzugreifen und gegen Microsofts
unsaubere Geschäftspraktiken vorzugehen. Für die Justizministerin
Janet Reno ist der Fall dabei sonnenklar: "Microsoft is unlawfully
taking advantage of its Windows monopoly to protect and extend
that monopoly and to undermine consumer choice. The Department
of Justice will not tolerate that kind of conduct" (vgl. ABC-Nightline
vom 20.10.97). Rückendeckung erhält sie vom Leiter der Antitrust-Abteilung,
Joel Klein: "This kind of product-forcing is an abuse of monopoly
power--and we will seek to put an end to it." Bei Microsoft ist
man sich dagegen keiner Schuld bewußt. Vize Steve Ballmer erklärte
im Auftrage seines Chefs bereits Ende vergangenen Jahres: "I think
what we're doing is right, lawful, moral, proper, and competitive.
I might even say it's the American way. We're innovating, adding
value, driving down prices, competing, serving our customers,
and we're doing it well" (CNET News 5.12.97). Die Rollen im sich
anbahnenden Gerichtsdrama, das alle Chancen auf spannende Unterhaltung
in sich hat -- schließlich treffen sich die größte wirtschaftliche
und politische Macht und das reichste, zukunftsträchtigste Unternehmen
vor den Augen von Justitia -- sind also eindeutig verteilt. Bis
zu einer Entscheidung wird es sich lohnen, einen Blick hinter
die Kulissen der Microsofties zu werfen. Wie funktioniert die
Erfolgsfirma des Information Age? Was hält das System Gates am
Laufen? Nach einer kurzen Darstellung der Informationsökonomie,
auf der Microsoft beruht, werde ich die Strategien der Firma sowie
ihres Präsidenten näher beleuchten und die Microsoft-Maschinerie
an einer Image- und Rollenanalyse Gates' verdeutlichen.
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