New Economy -- Creative Economy -- True Economy -- One Economy -- ja, was denn nun? (Von Stefan Krempl)

Der Begriff der "New Economy" hat in Zusammenhang mit dem Börsenfieber der vergangenen Jahre rund um das Internet und andere High-Tech-Sektoren wie die Bio- und Gentechnologie eine steile Karriere gemacht, wie wir schon beim Versuch einer Beschreibung "der" Startup-Kultur festgestellt haben. Zunächst geht mit der Verwendung dieses Begriffs eine Abgrenzung einher zu einem bisher üblichen Wirtschaften, zu der "Old Economy". Wurde diese Trennlinie in den vergangenen drei, vier Jahren gerade von Startups und Dotcoms besonders hervorgehoben, so verwischt die Grenze momentan immer mehr, seit zum einen die Internet-Sprösslinge schwächeln und zum anderen die "alten" Unternehmen und Konzerne selbst das Internet immer weiter in ihre Geschäftsstrukturen integrieren.

Doch werfen wir zunächst einen Blick zurück auf die These von der New Economy aus den 1990ern. In der Mitte des vergangenen Jahrzehnts setzte sich bei zahlreichen US-Literaten und später auch bei Wirtschaftswissenschaftlern sowie sogar beim obersten Hüter über den Dollar, Alan Greenspan, die Erkenntnis durch, dass das Internet und die aus ihm erwachsenen Startups für eine bisher nicht gekannte Innovationswelle sorgen. Die technischen Fortschritte in Informations- und Telekommunikationstechnologie, so die Theorie, lösen eine Dynamik im Wirtschaftsleben aus, die sich eigentlich nur mit der industriellen Revolution oder gar mit der Nutzbarmachung des Feuers vergleichen lässt. Das Phänomen dieser Umwälzungen wurde mit dem Titel "New Economy" bedacht.

The idea was that America was undergoing an economic transformation. Technological innovation, combined with the globalization of business and a financial system that provided venture capital, were energizing the economy by boosting productivity. In this New Economy we argued, fast growth would no longer lead to inflation, as it did so often in the old. The reason: Productivity growth from investment in technology would cut costs. … The business cycle wasn’t dead, we said, but it had dramatically changed. … Growth over the last five years has averaged well above 4 % annually, and productivity is increasing at double the rate of a decade ago. Meanwhile, inflation has been tepid, even though the economy is in its 10th year of expansion, the longest in history.

Business Week Oct. 9, 2000, 37

Der schillernde Begriff wird seit seiner "Entdeckung" sehr unscharf gebraucht. So werden viele neue Firmen in den Bereichen der neuen Technologien und der Medien als Repräsentanten der Neuen Wirtschaft bezeichnet, womit New Economy zum Gattungsbegriff wird. In der Theorie mancher Ökonomen wird der Begriff dagegen zur Beschreibung der Tatsache verwendet, dass gewisse makroökonmische Regeln über den Haufen geworfen werden, die Produktivität immer weiter steigt und es keine Rezession mehr gibt (vgl. Einleitung zum NZZ-Dossier zur New Economy).

An der Börse bezeichnet man mit «New Economy» letztlich alle Unternehmen, die Spitzentechnologie herstellen oder - wie E-Commerce - auf diesen basieren. Die Spannbreite reicht von Informatik und Kommunikation bis zu Biotechnologie oder Medizinaltechnik. In diesem(mikroökonomischen) Sinn ist der Begriff zwar brauchbar, deckt sich aber weitgehend mit älteren, weniger plakativen Begriffen wie «High-Tech». … In einem tiefergreifenden, makroökonomischen Sinn meint das Zauberwort «New Economy» jedoch etwas ganz anderes. Es steht für die aussergewöhnliche Entwicklung der US-amerikanischen Wirtschaft in den letzten neun Jahren, in denen sich ein relativ hohes Wachstum mit weitgehender Preisstabilität verband. Das hat bei vielen Beobachtern den Glauben genährt, es gebe so etwas wie ein neues ökonomisches Paradigma. Danach gäbe es praktisch keine Inflation und keine Konjunkturschwankungen mehr, dafür ein Wachstum ohne Ende auf hohem Niveau. Im Zentrum dieser «schönen neuen Welt» steht die Idee, es lasse sich in Zukunft nachhaltig ein besonders hohes Produktivitätswachstum realisieren. Dieses wird mit einem technologischen Fortschritt ohnegleichen begründet.

Gerhard Schwarz: Auf der Suche nach der «neuen Wirtschaft». Neue Zürcher Zeitung, 18. März 2000

Autoren, die sich stärker mit dem Thema befasst haben, wie etwa Kevin Kelly, berufen sich vor allem auf die Theorie der "network externalities", um das Neue der New Economy aus dem Geiste des Internets zu fassen. Diese Theorie einer auf der "Netzwerkmentalität" beruhenden Wirtschaft ist übrigens auch die Grundthese von Jeremy Rifkins viel beachtetem neuen Buch "Access".

Netzwerkeffekte, auch Netzwerk-Externalitäten genannt, beschreiben die Auswirkungen der Teilnahme von einer Person an einem Netzwerk auf die anderen Teilnehmer. Netzwerke können dabei auf physischen Verbindungen basieren wie beispielsweise das Internet selbst oder aber auch aufimaginären oder psychischen wie etwa die Verbindungen von Mitgliedern einer Vereinigung.Der Wert solcher Netzwerke steigt mit jedem zusätzlichen Nutzer ( direkte Netzwerkeffekte) -- und zwar für jeden bereits bestehenden Nutzer.

So ist beispielsweise der Wert eines Faxgerätes mit der Anzahl der Faxgeräte und damit mit der Grösse des Kommunikationsnetzes gestiegen. Das eigentliche Produkt tritt dabei in den Hintergrundund der Wert des Netzwerkes in den Vordergrund. Indirekte Netzwerkeffekte ergeben sich dann, wenn der Wert eines Produktes von der Verfügbarkeit von ergänzenden Leistungen abhängt. So wird das Betriebssystem beispielsweiseeines kleinen Taschencomputers um so wertvoller, je mehr Programme auf dem System laufen. Je mehr Leute sich für das Betriebssystementschieden haben und je grösser somit das virtuelle Netzwerk wird, um so mehr Zusatzprogramme werden Hersteller anbieten.

Damit wird in Märkten mit Netzwerkeffekten eine traditionelle Gesetzmässigkeit auf den Kopf gestellt: Eine zunehmende Verbreitung eines Produktes führt nicht zu einem sinkenden Wert, sondern umgekehrt. Jeder zusätzliche Teilnehmer aneinem Netzwerk erhöht dessen Wert, was wiederum zusätzlich Nutzer anzieht («positive feedback» oder «increasing returns»). Das Wachstum des Netzwerks verstärkt sich somit fortlaufend selbst.

Christiane Henkel: Hat die "Neue Wirtschaft" neue Spielregeln? Neue Zürcher Zeitung, 1. April 2000

"New Economy" in der Krise

Doch trotz der theoretischen Unterfütterung durch Gesetze wie die der "Netzwerk-Externalitäten" oder der "Increasing Returns" wird das in den USA die letzten fünf Jahre propagierte Modell der New Economy in letzter Zeit wieder stärker angezweifelt.

Interessanterweise hat gerade ein Autor des Wirtschaftsmagazins Business Week, das jahrelang einer der größten Propagandisten einer New Economy war, Anfang Oktober nun sogar ein Buch herausgebracht, das von der kommenden "Internet-Depression" warnt. Seine These ist, dass die New Economy nicht nur durch neue Technologien vorangetrieben wird, sondern vor allem durch Venture Capital, und daher sehr stark vom Auf und Ab der Börsen für Jungunternehmen abhängt. Zeigen dort die Indizes nach unten, wird der Geldfluss dünner, da es weniger Möglichkeiten gibt, das investierte Geld mit möglichst hohen Gewinnen möglichst rasch zurückzuerhalten. Diese Entwicklung wiederum führt zu verminderter Innovation in der Wirtschaft, was die Produktivität sinken lässt. Dadurch wird der Druck auf die Währungshüter größer, die Zinsen zu erhöhen, und es entwickelt sich eine Spirale nach unten, ein Teufelskreis abwärts.

The New Economy is more than a technological revolution, it’s a financial revolution as well -- and that makes today’s economy far more volatile than most realize. … If technology is the engine for the New Economy, then finance is the fuel. … Without access to capital, the Internet Age would have arrived, but much more slowly. … If the Old Economy was an automobile, the New Economy is an airplane. In an auto, if anything unexpected happens, the natural and correct response is o put on the brakes. But just as an airplane needs a certain airspeed in order to stay aloft, so the New Economy needs fast growth for high-risk investment in innovation to be worthwile

Michael J. Mandel in Business Week, Oct. 9, 2000, 45ff

In einem umfangreichen Begleitbericht (The next downturn) bzw. einem Editorial führt Business Week (S. 80) das Argument weiter aus:

Mandel’s argument turns in part on what he calls one of the great financial breakthroughs of the 20th century: the venture-capital fund. Venture capitalists gave about $60 billion to startups and young companies last year, and in the first half of this year, their funding was running at about a $100 billion annual rate. Along with that came the use of initial public offerings, which allow venture capitalists to cash out and recycle their returns into new enterprises. These developments gave cutting-edge technologies the financial muscle to challenge even the largest and most entrenched Old Economy companies.

But there’s a downside to this financing mechanism: The pace of innovation is now tied to the growth of the economy and the rise of the stock market. Drops in the market and economic slowdowns are likely to lead to less funding of startups and a consequent slowdown in innovation. And that’s where the cycle begins to feed upon itself, according to Mandel. Less innovation means less productivity growth, a tendency for inflation to rise, and pressure on companies to raise prices. Those developments, in turn, threaten to further slow the economy and depress the market, leading to a pernicious downward economic spiral.

Auch wenn dieses Szenario von Business Week bzw. Mandel als "worst case scenario" geschildert wird, und die Zeitschrift sich nicht voll und ganz damit identifiziert -- "The technological revolution is still in its infancy, and several huge advances are just starting to take shape. Interactive television, Net-based medical care, or "e-health." Global wireless Internet services. These are giant industry shifts, which take time to mature, and require progress in core technologies", schreibt Christopher Farrell in seinem "Case for Optimism" auf S. 53 -- so ist die Suche nach Alternativen zur Bezeichnung New Economy trotzdem überall in Mode gekommen. Die Palette substituierender bzw. komplementärer Begriffe wird dabei immer bunter.

Peter Coy beschreibt in Business Week (Aug. 28, 2000, 41) beispielsweise die "Creative Economy", in der "information and ideas" key sind. Was das wirklich Neue gegenüber den alten Begriffen von der Informationsökonomie sein sollen, bleibt aber unklar.

Die Wirtschaftswoche berichtet dagegen von dem beschwerlichen "Weg von der mit viel heißer Luft aufgeblasenen New Economy in die wahrhaftige Technologie-Wirtschaft von dauerhaftem Bestand" und übernimmt für diese den Titel "True Economy". Die New Economy wäre damit nur eine Vorstufe zu einer wie auch immer gearteten Ökonomie, in der die Vorteile der neuen Technologien endlich wirklich zum Tragen kommen und nicht nur zu Börsenluftblasen führen.

In diesem Zusammenhang wird viel über die "Rückkehr" oder sogar die "Rache" der Old Economy, der "Multis" (Business 2.0, Sept. 2000 (dt. Ausgabe)), geredet, die nun "zurückschlägt" und sich die von den Dotcoms vorangetriebenen Innovationen zunutze macht. Den Konzernen geht es dabei vor allem um die stringente Ausrichtung ihrer Geschäftsmodelle auf das Internet sowie um die Erschließung neuer Vertriebswege und all das, was eigentlich schon seit den 80ern als "Re-engineering" bekannt wurde.

Die Ziele der Konzerne sind eindeutig: Die Ideen, wie sie über die vergangenen fünf Jahren von eifrigen Gründern und cleveren Entwicklern erdacht worden sind, scheinen den Vorständen der etablierten Unternehmen nun erprobt genug, um sie als Basis ihrer Attacke in die Neue Wirtschaft zu verwenden.

Thomas Huber und Jörg Linssen: Auftritt: Old Economy. Net-Investor 10/2000, 66

Immer mehr Beobachter gehen davon aus, dass in der Anwendung der "New-Economy-Modelle" in der alten Wirtschaft die "Internet-Revolution" in der Geschäftswelt erst richtig los geht. Wie Business Week am Beispiel Ford bzw. der Automobilindustrie darlegt:

Forget about Amazon.com Inc. and eBay Inc. Ford, along with a host of much maligned metal-benders and other old-timers, is transforming e-commerce from a blip on the economic radar into the engine of industry. And although it may not offer a dot.com market cap or a hipper-than-thou ad campaign, Ford has something else: real e-productivity potential, in the form of an $83 billion-a-year purchasing budget and 30,000 suppliers.

Jennifer Reingold und Marcia Stepanek: Why the Productivity Revolution Will Spread. The Net’s Revamping of Old-line Industry May Save Trillions. Business Week, Febr. 14, 2000, 48

New und Old Economy wachsen also immer stärker zusammen, der Begriff der "One Economy" macht nun die Runde:

Die etablierten Unternehmen schlagen zurück. … Der Antagonismus von "Old -- New" wird sich auflösen. Übrig bleibt zugunsten einer integrierten Wirtschaftsordnung die "One Economy". Eine Trennung ist schon heute nicht mehr sinnvoll.

In dieser "One Economy" werden die etablierten Unternehmen der "Old Economy" am meisten profitieren, wenn sie die Geschäftsmodelle der "New Economy" prüfen, adaptieren und perfektionieren.

Thomas Heilmann: One Economy -- oder die Internet-Revolution frißt ihre Kinder. FAZ 14.8.2000

Die Internet-Revolution frisst also ihre Kinder. Die stolzen Startups, die lange gerade wegen ihrer konsequenten Absetzung von der Old Economy ihre Börsenkurse nach oben jagen sahen, müssen sich nun mit der ganz normalen Wirtschaftswelt arrangieren bzw. werden sogar von den ungeliebten Großkonzernen scharenweise übernommen, seit ihre Marktbewertungen in den Keller gesunken sind.

Doch keine Bange, ganz so tragisch ist das Ende nicht: Denn während die "Kinder früherer Revolutionen in der Verbannung, im Gefängnis oder unter der Guillotine" landeten, wie Thomas Heilmann (ebd.) zurückblickt, sind sie heute "mit dem nächsten Business-Plan auf der Suche nach frischem Risikokapital. Im Internet-Zeitalter sind selbst Revolutionen nicht mehr das, was sie einmal waren."


Obwohl der Begriff der New Economy seit den Kursstürzen der Technologie-Unternehmen und Startups in den vergangenen Monaten insgesamt stark gelitten hat, wird er allerdings nach wie vor häufig als Sammelbezeichnung für eine neu durchstartende Wirtschaft gebraucht und ist keineswegs totzukriegen (s.a. Gabriele Fischers Definition der New Economy).

 
Links

The New Economy Long Boom oder Seifenblase? Site aus dem Seminar "Wired" aus dem WS 1998/1999

Thesenpapier von Olaf Goldschmidt

Dossier der NZZ zum Thema New Economy

Steve Lohr: Computer Age Gains Respect of Economists. NYT April 14, 1999

The new old thing. The real promise of the new economy is the technological transformation of old-economy companies. The Economist, Apr 13th 2000

Marc Laimé und Akram B. Ellyas: Der Mythos globaler Prosperität. Vermögen und Unvermögen der Neuen Ökonomie. Le Monde diplomatique vom 12.5.2000

Olaf Gersemann, Katja Gutowski, Christian Schaudwet: New Economy: Die Revolution frißt ihre Kinder. Wirtschaftswoche, 12.7.2000

"Wie eine Achterbahn“. Interview mit US-Ökonom Paul Krugman über die New Economy, ihre Spielregeln und Europas Chancen. Wirtschaftswoche, 12.7.2000

Business Week Special: The Next Downturn. Will a New Economy bust follow the New Economy boom? Oct. 9, 2000

John Greenwald: Is the New Economy Dead? Time Oct 23, 2000

Boomende Wirtschaft sorgt für Rekordüberschuß in der US-Staatskasse. FTD 24.10.2000

Still Going Strong. America’s productivity miracle is alive and well according to new figures released on November 2nd. But can it last -- and will it spread? The Economist, Nov 2nd 2000

Christian Tenbrock: Der Dauerboom flaut ab. In den Vereinigten Staaten werden die Konjunkturpessimisten lauter. Die Zeit 45/2000

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